Angst und die Wahrnehmung körpereigener Signale im Gehirn
Mit moderner Technologie gewinnt die Forschung neue Erkenntnisse, wie Angst mit Wechselwirkungen zwischen Gehirn und K?rper zusammenh?ngt. Erstmals zeigt sich, wie das Gehirn ver?nderte Atemzust?nde wahrnimmt und vorhersagt, und wie sich diese Prozesse bei verschiedenen Angstpegeln ver?ndern.
Herzrasen, schnelle Atmung und schweissnasse Handfl?chen: das sind allesamt Symptome von Angst, mit denen das Gehirn den K?rper auf eine m?gliche Bedrohung vorbereitet. Diese normalen, flüchtigen Wahrnehmungen des menschlichen K?rpers k?nnen bei Personen mit erh?htem Angstpegel eine regelrechte Abw?rtsspirale ausl?sen. Die Wahrnehmung k?rperlicher Ver?nderungen wie des Herzschlags und der Atmung verst?rkt just jenes Angstgefühl, das diese Ver?nderungen erst hervorgerufen hat. Bisher war es aufgrund technischer Grenzen schwierig zu untersuchen, wo genau im Gehirn dieser Teufelskreis stattfindet – und wie er sich bei Menschen mit erh?htem Angstpegel durchbrechen l?sst. Nun konnten ETH-Forschende erstmals aufzeigen, wie sich bestimmte im Gehirn verarbeitete K?rpersignale zwischen Menschen mit unterschiedlichen Angstpegeln unterscheiden.
Angst und verzerrte Atemwahrnehmung
So wie ein Rauchmelder Alarm schl?gt, um Hausbewohner vor einem m?glichen Brand zu warnen, so bestimmen tief im Inneren unseres Gehirns Nervenzellen in der sogenannten vorderen Insel, einem Teil der Hirnrinde (Kortex), wie k?rperliche Empfindungen wie Atmung, Herzschlag oder Magen-Darm-Schmerzen wahrgenommen werden. Eine einflussreiche wissenschaftliche Theorie geht davon aus, dass dieser Teil des Gehirns Modelle des K?rpers erstellt, die K?rpersignale vorhersagen und interpretieren. Deren Zweck, so lautet die Annahme, besteht darin, Gefahren für den K?rper vorherzusagen und Alarm zu schlagen, wenn ihm Schaden droht. Dies ist besonders für das Verst?ndnis von psychischen St?rungen relevant. So wird beispielsweise schon lange vermutet, dass Angst mit ver?nderten Vorhersagesignalen im vorderen Inselkortex einhergeht. Diese Annahme zu best?tigen gelang nun Olivia Harrison, der Hauptautorin einer kürzlich im Fachmagazin Neuron erschienenen Studie. Sie und ihr Team stellten fest, dass der vordere Inselkortex bei Menschen mit h?herem Angstpegel anders auf vorhergesagte ?nderungen des Atemwiderstands reagiert. Parallel dazu scheint ein Zusammenhang zu bestehen zwischen h?heren Angstpegeln und einer ver?nderten Wahrnehmung von K?rpersignalen.
Harrison, die heute an der Universit?t Otago in Neuseeland forscht, führte die Studie im Rahmen eines Postdoktorats bei Professor Klaas Stephan zusammen mit einem Forschungsteam von der Translational Neuromodeling Unit durch, die dem von Universit?t und ETH Zürich gemeinsam betriebenen Institut für Biomedizinische Technik angeh?rt. Harrisons Studie, an der 60 Personen mit niedrigen und mittleren Angstpegeln teilnahmen, erbringt als erste ihrer Art einen Nachweis dafür, dass der vordere Inselkortex Modelle des k?rperlichen Zustands erstellt. Klaas Stephan, Co-Autor der Studie, erl?utert dazu: ?Das Wissen, wie das Gehirn aktiv Modelle zum Schutz des K?rpers erstellt, hilft, psychischen Krankheiten ihr Stigma zu nehmen. Diese Betrachtungsweise macht deutlich, dass sich Angst als Anpassungsreaktion auf eine individuelle Erfahrung erkl?ren l?sst?, erkl?rt er.
Neue Technologie wesentlich für Erkenntnis
Erst dank einer neuen Technologie konnten die Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler in ihrer Studie den Atemwiderstand lenken und erstmals die Hirnaktivit?t beobachten, die beim Vorhersagen und der Wahrnehmung bedrohlicher K?rperzust?nde auftritt. Ferner beobachteten sie, wie Angst solche Vorhersagen und Wahrnehmungen im Gehirn ver?ndern kann. Inspiriert von früherer Forschung zu Wechselwirkungen zwischen Gehirn und K?rper, aber auch von ihren eigenen Beobachtungen aus dem Leistungssport, entwickelte Olivia Harrison ein MRI-kompatibles Beatmungssystem. Das Ger?t basiert auf Harrisons früheren Studien, die sie gemeinsam mit dem Breathe-Oxford-Team der Universit?t Oxford durchgeführt hat. In Zusammenarbeit mit dem Oxford-Physiker und Medizintechniker Sebastian Rieger automatisierte Harrison das System.
Dank dieser Erfindung konnten die Forschenden bestehende Theorien, die bisher noch nicht mit empirischen Messungen nachgewiesen waren, differenzierter überprüfen. Das Forschungsteam nutzte die neue Technologie, um eine Atmungslernaufgabe zu entwickeln und die dynamische Gehirnaktivit?t bei Vorhersagen über die Atmung sowie Vorhersagefehlern zu untersuchen. Mithilfe von Computermodellen kognitiver Prozesse untersuchten die Forschenden sowohl das atembezogene Lernen als auch die Metakognition, also die Wahrnehmung eigener Denkprozesse. Dies stellt die erste mathematische Analyse des Verlaufs eines Lernprozesses in diesem Forschungsbereich durch.
Auf den K?rper h?ren
Auch wenn die Ergebnisse dieser Studie neue Erkenntnisse zu den Zusammenh?ngen zwischen Angst und der Wahrnehmung k?rpereigener Signale durch das Gehirn offenbaren, bleiben noch viele Fragen offen. ?Wir glauben zuweilen, dass wir auf unseren K?rper h?ren?, sagt Harrison, ?aber wir sehen, dass Angst unsere F?higkeit reduziert, tats?chlich die Ver?nderungen unserer Atmung zu bemerken.? Wenn wir erste k?rperliche Symptome der Angst nicht wahrnehmen, da die entsprechende Wahrnehmung wie ?abgeschaltet? ist, dauern diese Symptome an und der Angstpegel verst?rkt sich weiter. Die Ergebnisse der Studie geben daher erste Hinweise, wie Angst die Kommunikation zwischen Gehirn und K?rper st?ren kann.
Wenngleich die Forschung noch nicht auf alle Fragen eine Antwort hat, verweist Harrison darauf, dass Atemübungen in der fern?stlichen Medizin seit Jahrhunderten zur Verbesserung der psychischen Verfassung eingesetzt werden. Sie weist darauf hin, dass Yoga, Meditation und Sport oft einen beruhigenden Effekt haben, dass die zugrunde liegenden Mechanismen aber noch erforscht werden müssen. Harrison zufolge k?nnte ein besseres Verst?ndnis, wie Gehirn und K?rper interagieren, letzten Endes die Behandlung von Angstst?rungen verbessern, indem Menschen in die Lage versetzt werden, ihren K?rper anders wahrnehmen und die Angstspirale zu durchbrechen.
Literaturhinweis
Harrison OK, K?chli L, Marino S, Luechinger R, Hennel F, Brand K, Hess AJ, Fr?ssle S, Iglesias S, Vinckier F, Petzschner FH, Harrison SJ, Stephan KE: Interoception of breathing and its relationship with anxiety. Neuron, 20. Oktober 2021, doi: externe Seite 10.1016/j.neuron.2021.09.045