Einfache Fragen – schwierige Antworten

Als Mathematiker befasst sich Oliver Janzer mit Graphen. Darunter versteht man Gebilde aus Punkten, die miteinander verbunden sind oder nicht, wie beispielsweise die User von Facebook. Als ETH Fellow l?st der junge Forscher jahrzehntealte mathematische Probleme.

Oliver Janzer steht lächelnd vor einer beschriebenen Wandtafel
Oliver Janzer ist ein Mathematiker mit Leib und Seele. Besonders besagt ihm die Vorstellung, dass ein schlüssiger Beweis in der reinen Mathematik auch in 100 oder 1000 Jahren noch gültig ist. (Foto: ETH Zürich / Alessandro Della Bella)

Man stelle sich eine Gruppe von Leuten vor. Einige kennen sich, andere haben noch nie miteinander kommuniziert. Man verbindet je zwei Personen, die sich kennen, macht aber keine Verbindungen zwischen Fremden. So entsteht ein Netzwerk, von den Mathematikern ?Graph? genannt. Soziale Netzwerke wie Facebook k?nnen als Graph betrachtet werden. Die mathematische Theorie der Graphen ist ein Teilbereich der Kombinatorik und das Spezialgebiet von Oliver Janzer. Der 27-j?hrige Wissenschaftler arbeitet seit Herbst 2020 als ETH Fellow in der Gruppe von Mathematikprofessor Benny Sudakov.

?Wir befassen uns mit bestimmten Problemen in der Graphentheorie?, erz?hlt Janzer. So kann man sich fragen, welches die maximale Anzahl von Personen ist, die miteinander verbunden werden k?nnen, wenn einige Muster verboten sind, also wenn beispielsweise niemand alle anderen kennen darf. ?Es ist typisch für unser Gebiet, dass die Fragestellungen ziemlich einfach sind im Vergleich zu anderen Bereichen der Mathematik?, sagt Janzer: ?Aber irgendwie sind die L?sungen nicht immer ganz einfach.? Eine krasse Untertreibung des schon mehrfach ausgezeichneten Nachwuchsforschers. So widersetzte sich ein bereits 1975 aufgestelltes Problem bisher einer L?sung. Erst jetzt gelang Janzer und Sudakov dank neuer Ideen der Durchbruch.

Der Forscher übersetzt die entsprechende Frage von mathematischen in menschliche Begriffe: Wie viele Paare k?nnen sich in einer Gruppe von n Leuten kennen, wenn es keine Untergruppen gibt, in denen jede Person genau k andere Leute kennt, wobei n irgendeiner ganzen Zahl entspricht und k gr?sser oder gleich der Zahl Drei ist. ?Bei der Erkl?rung dieses Problems musste ich ein wenig schummeln, damit es leichter zu verstehen ist?, gibt der Mathematiker zu. Die L?sung von Janzer und Sudakov ist jedoch exakt und l?ste in der Fachwelt ein grosses Echo aus, als sie Ende April 2022 als Preprint ver?ffentlicht wurde.

Von Budapest nach Cambridge

Aufgewachsen ist Oliver Janzer in Budapest. ?Ich hatte Glück?, sagt er, denn in Ungarn gibt es eine Schule, in der Mathematik besonders intensiv gelehrt wird. ?Dort hatte ich Klassenkameraden mit ?hnlichen Interessen. Mathematik war unser Lieblingsfach, und wir hatten einige grossartige Lehrer?, erz?hlt der Forscher. Schon früh nahm er erfolgreich an einem nationalen Mathematikwettbewerb teil. Als Teenager gewann er an der Internationalen Mathematik-Olympiade eine Bronze- und zwei Silbermedaillen. Dies ebnete ihm den Weg für ein Mathematikstudium an der Universit?t Cambridge in Grossbritannien. ?Das war eine grosse Umstellung?, erinnert sich Janzer: ?Denn die Mathematik an der Universit?t unterscheidet sich stark von derjenigen an der Schule oder an Wettbewerben.?

Dem Studenten gefiel die Materie weiterhin, auch als er seine Doktorarbeit in Cambridge in Angriff nahm: ?Wiederum ein Wechsel, denn nun musste ich nicht nur Dinge lernen, sondern eigene Forschung betreiben.? Schnell erzielte er publizierbare Ergebnisse, welche die Fachleute interessierten, so auch ETH-Professor Benny Sudakov. ?Ich erhielt eine E-Mail von ihm, in der er mich nach meinen Pl?nen nach dem Doktorat fragte?, erz?hlt Janzer. Er entschloss sich, mit Sudakov als Mentor eine Bewerbung für eine Postdoctoral Fellowship in Zürich einzureichen – ein ETH-Programm, das sich an Nachwuchsforschende richtet, die sich schon früh in ihrer Karriere ausgezeichnet haben. ?Ich bin sehr glücklich, dass es geklappt hat?, sagt Janzer, denn die Erfolgsrate für Bewerbungen betr?gt nur rund 25 Prozent.

Preisgeld fürs Widerlegen einer Vermutung

Der ungarische Wissenschaftler Paul Erd?s, einer der bedeutendsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, hat wahrscheinlich eine Schlüsselrolle in Janzers bisheriger Karriere gespielt. Erd?s stellte zahlreiche S?tze und Vermutungen in der Kombinatorik auf. Eine dieser Vermutungen konnte Janzer im vergangenen Jahr widerlegen. ?Das ist eine weitere Arbeit, auf die ich stolz bin?, sagt er. Denn Erd?s hatte ein Preisgeld für die L?sung des 1981 formulierten Problems ausgeschrieben: 250 Dollar für einen Beweis oder 500 Dollar für eine Widerlegung der Vermutung.

Die Ergebnisse in Janzers Fachgebiet lassen sich vor allem in der Mathematik selbst, aber kaum praktisch anwenden, obwohl es Ausnahmen gibt. ?Zum Beispiel das Aufstellen des Spielplans einer Fussballliga?, erkl?rt der Mathematiker: ?Hat man 20 Mannschaften in einer Liga, ist es unwahrscheinlich, dass man einfach von Hand einen geeigneten Spielplan entwerfen kann. Unser Bereich hingegen liefert Techniken dazu.? Oft gebe es Anwendungen nicht für bestimmte Resultate, sondern für die zugrundeliegenden Ideen. Ein Beispiel sind sogenannte randomisierte Techniken, die für die L?sung eines rein kombinatorischen Problems entwickelt wurden, und zu randomisierten Algorithmen führten, welche heute in der Computerwissenschaft allgegenw?rtig sind. Auch das Ergebnis der neuesten Arbeit von Janzer und Sudakov l?sst sich auf diesem Gebiet anwenden und zwar für das maschinelle Lernen.

Oliver Janzer
?Oft braucht man eine neue Perspektive, um voranzukommen.?
Oliver Janzer
Oliver Janzer, ETH Fellow

?Unsere Studien sind jedoch selten durch Anwendungen motiviert?, sagt der Mathematiker. Wie wertvoll eine Arbeit ist, wird in der Regel dadurch bestimmt, wie gut sie die Forschung selbst weiterbringt, wie alt das Problem ist, und wie viele andere sich bereits damit befasst haben. ?Manchmal w?re es vielleicht sch?n zu sehen, dass meine Forschung in der realen Welt etwas bewirkt, aber ich werde durch andere Aspekte genug entsch?digt?, meint Janzer und betont, wie sch?n das Fachgebiet sei. Habe man zudem in der reinen Mathematik etwas eindeutig bewiesen, sei dies noch in 100 oder 1000 Jahren gültig. ?Und es ist hübsch, dass der eigene Name immer mit diesem Theorem verbunden sein wird.?

Für seine Arbeit braucht er nur Bleistift und Papier. Den Computer benutzt er zum Lesen und Schreiben von Fachartikeln. Im Durchschnitt erscheinen in seinem Fachgebiet t?glich rund 15 neue Publikationen, auf die er oft schon beim Frühstück einen ersten Blick wirft. Sp?ter in seinem Büro im obersten Stockwerk des ETH-Hauptgeb?udes studiert er die Fachliteratur weiter und arbeitet an der L?sung der mathematischen Probleme. ?Oft braucht man dabei eine neue Perspektive, um voranzukommen?, erz?hlt er: ?Und manchmal hilft es, wenn man eine etwas andere Frage stellt – eine leichtere oder eine allgemeinere und schwierigere.? Die siebenk?pfige Forschungsgruppe diskutiert nicht nur über Mathematik, sondern auch über das Geschehen in der Welt. ?Ich interessiere mich für Politik und verfolge die News?, sagt Janzer: ?Ungarn hat eine gemeinsame Grenze mit der Ukraine und dieser Krieg ist wirklich sehr traurig.?

Sport und ab und zu ein Computerspiel

Als Ausgleich zur Gedankenarbeit treibt der Mathematiker h?ufig Sport. ?Ich renne gern, es hilft mir, mich zu entspannen und ist offensichtlich gesund?, sagt er: ?Ich schaue auch oft Filme und unterhalte mich mit Freunden.? Dass er zudem Computerspiele mag, gibt er offen zu, nachdem er in einem Zeitungsartikel gelesen hat, dass einer der berühmtesten Mathematiker der Gegenwart, Terence Tao, w?hrend seines Studiums viel Zeit mit dem Computerspiel ?Civilization? verbrachte. ?Ich war glücklich zu erfahren, dass ich nicht der einzige bin und man immer noch ein hervorragender Mathematiker sein kann, auch wenn man dieses Game spielt?, so Janzer.

Noch bis August dauert seine ETH Fellowship. Dann wird er nach Cambridge zurückkehren, um eine weitere, vierj?hrige Forschungsposition anzutreten. Danach ist er offen für alles. In Cambridge macht zurzeit sein jüngerer Bruder eine Doktorarbeit ebenfalls als Mathematiker auf dem Gebiet der Kombinatorik, w?hrend seine Schwester von Cambridge nach Oxford umzog, um dort den Mastertitel in Computerwissenschaften zu erlangen. ?Aus irgendeinem Grund haben wir Kinder alle diesen mathematischen Weg gew?hlt, obwohl unsere Eltern überhaupt keinen Bezug zur Mathematik haben?, sagt Janzer: ?Das ist doch ziemlich überraschend.?

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