Der Crispr-Hype wird immer mehr zur Realität

Eric Aird

Die neuesten Crispr-basierten Genom-Editierungssysteme funktionieren eher wie molekulare Taxis als wie eine Genschere. Das macht sie für Patienten, die bald von Gentherapien profitieren werden, deutlich sicherer, wie Eric Aird erl?utert.

Wir feiern 10 Jahre Genom-Editierung mit Crispr/Cas. Das System wird oft als Genschere bezeichnet, und diese Bezeichnung ist für seine ersten Anwendungen durchaus zutreffend. Diese 10 Jahre waren gepr?gt von einer atemberaubend schnellen Entwicklung und einem grossen Versprechen, Tausende von genetischen Krankheiten verh?ltnism?ssig einfach zu heilen – mit einer einzigen Behandlungsdosis, die krankheitsverursachende DNA-Mutationen in den K?rperzellen gezielt korrigiert. Sichelzellenan?mie und Muskeldystrophie sind zwei dieser Krankheiten. Und tats?chlich, ein Jahrzehnt sp?ter l?sen wir dieses Versprechen in Form zahlreicher Therapien ein, die derzeit in klinischen Studien am Menschen erprobt werden.

?Die Next-Generation-Genome-Editing-Systeme werden wahrscheinlich noch in diesem Jahr erstmals im Rahmen von Studien bei Menschen angewandt.?
Eric Aird

Parallel zur Entwicklung der ersten derartigen Therapien haben Wissenschaftler:innen die Genom-Editierungs-Technologien weiterentwickelt. Heute existieren molekulare Crispr-Werkzeuge, die nur wenig gemein haben mit einer Genschere, und die medizinische Anwendungen in Zukunft noch sicherer machen k?nnen.

Doch blicken wir kurz zurück: ?Crispr-Genscheren? der ersten Generation docken an bestimmten Stellen im Genom an und schneiden das DNA-Molekül. Die Zelle erzeugt an der Bruchstelle kurze, willkürliche Mutationen, um zum Beispiel die Genfunktion zu st?ren. Dabei sind allerdings unbeabsichtigte genetische Ver?nderungen in der Zelle m?glich, und der Umfang der mit dieser Methode behandelbaren Krankheiten ist relativ gering. Ein ungewollter Schnitt im Genom k?nnte sich ausserdem Jahrzehnte sp?ter als Ausl?ser für Krebs entpuppen. Zudem verursachen diese Scheren DNA-Sch?den, und solche Sch?den sind von Natur aus toxisch und k?nnen für die Zellen t?dlich sein.

Eine breite Anwendung dieser ersten Generation von Crispr-Technologien beim Menschen ist daher nicht v?llig risikofrei. Das ist auch ein wesentlicher Grund, warum Wissenschaftler:innen molekulare Werkzeuge entwickelten, mit denen genomische Ver?nderungen ohne den Einsatz von Scheren erzeugt werden k?nnen.

In den letzten Jahren haben Forschende auf der ganzen Welt eine ganze Reihe solcher Next-Generation-Crispr-Technologien entwickelt. Eine passendere Analogie für diese innovativen Systeme w?re die eines "molekularen Taxis". Mit Hilfe solcher Technologien k?nnen spezialisierte Proteine zu bestimmten Zielen im Genom transportiert werden. Diese Proteine k?nnen den DNA-Code direkt ver?ndern, ohne die gleichen sch?dlichen Folgen wie bei einer Schere zu verursachen.

Weniger toxisch

Dieser Ansatz ist für die Zellen weniger toxisch, und er erweitert das Spektrum der behandelbaren genetischen Krankheiten wesentlich. Anstatt ein Gen einfach zu schneiden, um es funktionsunf?hig zu machen, k?nnen diese Crispr-Genom-Editoren1 zur Korrektur einzelner genetischer Mutationen verwendet werden, um die eigentliche Genfunktion wiederherzustellen. Man sch?tzt, dass mehr als 100’000 DNA-Mutationen in unserem Genom Krankheiten verursachen, von denen die grosse Mehrheit mit diesen neuen Technologien behandelt werden k?nnte.

Ein gelbes Taxi in New York
Next-Generation-Crispr-Werkzeuge k?nnen als molekulare Taxis bezeichnet werden. (Bild: Adobe Stock)

Es wird erwartet, dass die Next-Generation-Genome-Editing-Systeme noch in diesem Jahr erstmals im Rahmen von Studien bei Menschen angewandt werden. Ein amerikanisches Biotech-Unternehmen hat kürzlich die Genehmigung erhalten, mit klinischen Studien bei Menschen zur Heilung der Sichelzellenkrankheit und der Beta-Thalass?mie zu beginnen.2 Behandlungen für einen hohen Cholesterinspiegel und eine Form von Blindheit stehen ebenfalls kurz vor der Einführung beim Menschen, ganz zu schweigen von den zahlreichen Projekten zur Behandlung einer Reihe von genetischen St?rungen, die derzeit an Tieren getestet werden und eines Tages auch dem Menschen zugutekommen k?nnten. In allen F?llen k?nnen diese Krankheiten geheilt werden, indem der mutierte genetische Code in die ?normale? Sequenz zurückverwandelt wird, was mit dem herk?mmlichen, auf Genscheren basierenden Ansatz nicht m?glich war.

Einmalige Therapie

Die auf Crispr basierenden Technologien haben einen enormen Vorteil: Heute ben?tigen Patienten, die an H?mophilie leiden, mehrere Infusionen pro Woche. Eine Crispr-Behandlung hingegen würde im Idealfall einmalig erfolgen, und die mit Crispr ver?nderten Zellen würden für den Rest des Lebens des Patienten erhalten bleiben.

Das bedeutet aber auch, dass die Behandlung, wenn sie einmal begonnen wurde, nicht mehr abgebrochen werden kann. Aber würden Sie sich für eine Behandlung entscheiden, bei der Sie das Medikament nie absetzen k?nnen?

Bei Crispr-basierten Therapien stellt sich diese Frage. Die Sicherheitsbedenken hinsichtlich unbeabsichtigter Eingriffe ins Genom konnten mit den Crispr-Molekül-Taxis der n?chsten Generation zwar weitgehend, aber trotzdem nicht vollst?ndig ausger?umt werden. Es muss betont werden, dass die Therapien der ersten Crispr-Generation, die derzeit klinisch getestet werden, umfangreiche Studien durchlaufen haben, um sch?dliche Auswirkungen zu ermitteln und zu begrenzen. Dennoch darf die Sicherheit von Crispr-basierten Systemen nicht v?llig ausser Acht gelassen werden. Es ist wichtig, dass die langfristigen Sicherheitsprofile der Crispr-Technologien ermittelt werden, und deshalb erwarte ich, dass die ersten mit Crispr behandelten Patienten lebenslang überwacht werden.

Bisher nicht heilbare Krankheiten behandeln

Bei all den Sicherheitsüberlegungen muss man aber auch die therapeutischen Alternativen in Betracht ziehen. Nehmen wir zum Beispiel die Progerie, eine genetische Krankheit, bei der Kinder schnell altern und es nur Medikamente gibt, die die Lebensspanne geringfügig verl?ngern. Eine Next-Generation-Crispr-Technologie, die sich derzeit in Entwicklung befindet, hat das Potenzial, die Progerie-Therapie zu revolutionieren: Sie verdoppelte in Mausmodellen die Lebenserwartung. Bei einer t?dlichen Krankheit wie der Progerie, für die es keine oder nur eine unzureichende Therapie gibt, würden sich viele Patienten wahrscheinlich für eine Crispr-Behandlung entscheiden, auch wenn ein gewisses Restrisiko für potenziell negative Langzeitfolgen besteht.

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Crispr-Technologien in den letzten zehn Jahren weiterentwickelt haben, ist enorm. Die Aufsichtsbeh?rden, die die Sicherheit dieser Technologien bewerten müssen, haben mitunter nicht mit diesem Tempo Schritt gehalten. Dringend ben?tigte Leitlinien für die Zulassung der neuen Technologien sind noch nicht ausgereift. Das muss sich ?ndern. Es besteht ein grosser Handlungsbedarf für die Regulierungsbeh?rden.

Das erste Jahrzehnt mit Crispr zeigte dessen immenses Potenzial und brachte eine rasante technologische Entwicklung und die ersten behandelten Patienten. In den n?chsten zehn Jahren werden sowohl die erste Generation als auch die Next Generation von Crispr-Systemen ihr Potenzial voll aussch?pfen und Patienten mit seltenen und h?ufigeren genetischen St?rungen lebenslange Heilung bieten.

1 darunter sogenannte ?Prime-Editoren? und ?Base-Editoren?

2 externe SeiteMedienmitteilung Beam Therapeutics, 8. November 2021

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