Präziser behandeln

Das Forschungszentrum ?The LOOP Zurich? bündelt das Wissen der ETH und der Universit?t Zürich sowie der vier universit?ren Spit?ler in Zürich. Das Ziel: personalisierte Therapien entwickeln. Mit zwei neu unterstützten Projekten soll Patientinnen und Patienten mit Harnwegsinfekten und Fettleibigkeit geholfen werden.

Animation einer Bakteriophage
Bakteriophagen (im Bild) k?nnen infekti?se Bakterien in den Harnwegen zerst?ren. Anschliessend soll das Mikrobiom von gesunden Menschen transplantiert werden, um erneute Infektionen zu verhindern.  (Bild: istock/ fpm)

150 Millionen Menschen weltweit sind j?hrlich von Harnwegsinfektionen betroffen – viele leiden an wiederkehrenden Infekten. Die Standardbehandlung mit Antibiotika hilft nicht immer und birgt die Gefahr der Resistenzbildung. Ausserdem sch?digen die Antibiotika auch die nützlichen Bakterien im Harn- und Darmtrakt. ?Dieses Mikrobiom wollen wir jetzt nutzen, um bei der Therapie von Harnwegsinfekten neue Wege zu gehen?, sagt Professor Thomas Kessler, Chefarzt Neuro-Urologie an der Universit?tsklinik Balgrist.

Geschehen soll dies im Rahmen des Projekts mTORUS (microbiome-based Therapeutic Options for Recurrent Urinary Symptoms), das The LOOP Zurich in den n?chsten fünf Jahren finanziert. Dabei betreten die Forschenden von Universit?t Zürich, ETH Zürich, Universit?tsklinik Balgrist, Universit?tsspital Zürich sowie ETH Lausanne gleich doppelt Neuland. Erstens wollen sie die krankmachenden Bakterien mit genetisch angepassten Bakteriophagen – kurz Phagen – bek?mpfen. Zweitens wollen sie den Patientinnen und Patienten anschliessend ein gesundes Mikrobiom in den Harntrakt transplantieren, um zukünftige Infektionen zu verhindern – auch dies ein Novum.

Was ist ein gesundes Mikrobiom?

Zuerst aber gilt es die Grundlagen dafür zu legen. ?Ich habe als Medizinstudent noch gelernt, dass die Harnblase steril ist und keine Bakterien enth?lt?, erz?hlt Kessler. Heute weiss man: Wie unser Darm besitzt auch der Harntrakt ein eigenes Mikrobiom. Bei Menschen mit einem Harnwegsinfekt sieht dieses anders aus als bei gesunden Menschen. Was aber genau die Zusammensetzung eines gesunden Mikrobioms im Harntrakt ausmacht, ist noch wenig bekannt. Dies und die Interaktion der Bakterien mit dem Immunsystem wollen die Forschenden deshalb untersuchen. Eine grosse Datenmenge einer Vielzahl von Patientinnen und Patienten soll – mithilfe von Künstlicher Intelligenz – genutzt werden, um in Zukunft personalisierte Therapien anbieten zu k?nnen.

Alte Tradition

Diese neue Therapie soll aus zwei Teilen bestehen. Zuerst werden die infektausl?senden Bakterien mittels genver?nderten Phagen zerst?rt. Phagen sind Viren, die spezifisch bestimmte Bakterien angreifen und somit das restliche Mikrobiom nicht sch?digen. Der Therapieansatz ist mehr als 100 Jahre alt, wurde aber nach der Einführung der Antibiotika nur noch in wenigen L?ndern weiterverfolgt – etwa in Georgien. Jetzt erfahren die Phagen wegen der zunehmenden Antibiotikaresistenzen eine Renaissance.

Die Forschenden um Thomas Kessler und Martin Loessner von der ETH Zürich haben in den letzten Jahren Phagen genetisch so ver?ndert, dass sie pr?zis auf Bakterien passen, die Harnwegsinfektionen ausl?sen. Gleichzeitig sind sie daran, die Phagen so zu verbessern, dass diese das Immunsystem unterstützen. Zurzeit werden die Phagen in Tiermodellen getestet. Ab Ende 2023 sollen sie in einer ersten klinischen Studie an Menschen zum Einsatz kommen.

Das Mikrobiom ersetzen

Auch wenn die infektausl?senden Bakterien abget?tet sind, besteht doch die Gefahr einer erneuten Infektion. Denn das ver?nderte Mikrobiom bei Menschen mit wiederkehrenden Harnwegsinfekten scheint das Immunsystem so zu beeinflussen, dass es Infekte weniger gut abwehren kann.

Wenn es im Rahmen von mTORUS gelingt, die Zusammensetzung eines gesunden Mikrobioms zu bestimmen, wird dies die Tür für den zweiten Teil der geplanten Therapie ?ffnen: die Transplantation eines gesundes Mikrobioms in Patientinnen und Patienten mit wiederkehrenden Harnwegsinfekten oder einer Veranlagung dafür. Im Rahmen des Projekts soll das Prinzip in einer ersten klinischen Studie erprobt werden.

Damit kann im besten Fall der Weg geebnet werden für einen Paradigmenwechsel bei der Behandlung von Harnwegsinfekten oder ganz allgemein bakteriellen Infekten: ?Wir wollen weg von den Antibiotika und hin zu einer Nutzung von Phagen und dem nachhaltigen Aufbau eines gesunden Mikrobioms?, sagt Kessler.

Eine Frau spritzt sich Insulin in den Bauch
Adipositas kann zu Diabetes-2 und einer Insulinresistenz führen, die behandelt werden muss.   (Bild: istock / Antonio Diaz)

Fettleibigkeit gezielter behandeln

Beim zweiten Projekt, das von The LOOP Zurich in den kommenden fünf Jahren unterstützt wird, geht es ebenfalls um eine verbreitete Erkrankung: Fettleibigkeit oder Adipositas. Starkes ?bergewicht kann zu einer Vielzahl von Folgekrankheiten führen – von Diabetes und Bluthochdruck bis zu einem erh?hten Risiko für Tumoren. ?Medizinisch ist dies das gr?ssere Problem als das ?bergewicht an sich?, sagt Felix Beuschlein, UZH-Professor und Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ern?hrung am Universit?tsspital Zürich. Es gibt zwar gewisse Medikamente und mit dem Magenbypass eine Operation, die den Betroffenen beim Abnehmen helfen k?nnen. ?Bis heute fehlt es jedoch an einer personalisierten Therapie?, so Beuschlein.

Dies will ein Forschungsverbund unter seiner Leitung mit dem Projekt LOOBesity ?ndern. Der Fokus liegt dabei auf einer Untergruppe von rund 10 Prozent der adip?sen Patientinnen und Patienten. Diese sind aufgrund einer Stoffwechselbesonderheit besonders gef?hrdet, Folgekrankheiten zu entwickeln. Bei ihnen ist das Stresshormon Kortisol im K?rper überdurchschnittlich aktiv und richtet insbesondere in den Fettzellen Schaden an. Es führt dort zu Entzündungsprozessen und befeuern damit die Entstehung zus?tzlicher Krankheiten.  

Um diese erh?hte Kortisol-Aktivierung zu bremsen, g?be es eigentlich Medikamente. Diese werden aber bisher bei adip?sen Menschen nicht eingesetzt – weil unklar ist, wer davon profitieren würden. ?Umso wichtiger w?re es, Patientinnen und Patienten mit einer erh?hten Kortisol-Aktivierung pr?zise und einfach erkennen zu k?nnen?, sagt Beuschlein.

Von der Biopsie zur Bildgebung

Im Rahmen von LOOBesity wollen die Forschenden von UZH, ETH Zürich und Universit?tsspital Zürich mit Biopsien von Fettgewebe auf Einzelzellebene untersuchen, was das Kortisol in den Fettzellen genau bewirkt. Darüber weiss man noch zuwenig. Gleichzeitig werden die Patientinnen und Patienten mit Magnetresonanztomographie untersucht. Damit soll gekl?rt werden, ob sich der ver?nderte Stoffwechsel bildgebend mithilfe entsprechender Algorithmen ebenfalls pr?zise erkennen l?sst – und aufw?ndige Biopsien damit in Zukunft unn?tig würden.

Nach diesem diagnostischen Teil des Projekts wird es im zweiten Teil um die Behandlung gehen. In einer klinischen Studie wollen die Forschenden untersuchen, ob die existierenden, bisher für adip?se Menschen ungenutzten Kortisol-modulierenden Medikamente für diese Patientengruppe tats?chlich eine Verbesserung bringen.

Im Laufe des Projekts werden die Forschenden eine grosse Datenmenge sammeln. ?Insofern sind wir ein typisches LOOP-Projekt?, sagt Projektleiter Beuschlein: ?Ziel ist es, die Daten zu nutzen für einen weiteren Schritt in Richtung Pr?zisionsmedizin. Wir wollen damit jenen adip?sen Patientinnen und Patienten helfen, die besonders stark von Folgekrankheiten betroffen sind.?

?Unser Ziel ist es, komplexe molekulare Analysen mit bildgebenden Verfahren zu kombinieren und dadurch eine personalisierte Adipositastherapie zu erm?glichen und erfolgreich in die Anwendung zu bringen,? sagt der soeben zum ETH-Vizepr?sidenten ernannte Christian Wolfrum, der als Forscher an LOOBesity beteiligt ist. ?Das Projekt ist ein sch?nes Beispiel für die enge Zusammenarbeit mit universit?ren und klinischen Partnern, die die ETH in der Zukunft noch verst?rken m?chte.?

The LOOP Zurich – Medical Research Center

?The LOOP Zurich? ist ein medizinisches Zentrum für translationale Forschung und Pr?zisionsmedizin. Es vereint die biomedizinische Grundlagenforschung und Bioinformatik von Universit?t und ETH Zürich mit der klinischen Forschung der vier universit?ren Spit?ler in Zürich. Ziel ist es, mit Hilfe translationaler Forschung rasch neue Behandlungsmethoden zu entwickeln. Die gemeinsame Nutzung grosser Datenmengen und bioinformatische Methoden sind dabei eine zentrale Basis.

Forschungskonsortien

mTORUS: Microbiome-based Therapeutic Options for Recurrent Urinary Symptoms
Hauptantragsteller: Prof. Thomas M. Kessler (Balgrist/UZH) sowie Prof. Gunnar R?tsch (ETH Zürich), Prof. Shinichi Sunagawa (ETH Zürich), Prof. Emma Wetter Slack (ETH Zürich), Prof. Martin J. Loessner (ETH Zürich), Prof. Onur Boyman (USZ/UZH), Prof. Nicola Zamboni (ETH Zürich), Dr. André Kahles (ETH Zürich), Dr. Lorenz Leitner (Balgrist/UZH), Dr. Shawna McCallin (Balgrist/UZH), Dr. Alaz Oezcan (USZ/UZH), Prof. John McKinney (ETH Lausanne)

LOOBesity
Hauptantragsteller: Prof. Felix Beuschlein (UZH/USZ). Mitantragsteller: Prof. Thomas Frauenfelder (UZH/USZ), Prof. Ender Konukoglu (ETH Zürich), Prof. Milo Puhan (UZH), Prof. Christian Wolfrum (ETH Zürich)

Die beiden Projekte zu Harnwegsinfektionen und zur Adipositas wurden am 13. Dezember 2022 im Rahmen eines Symposiums zur Pr?zisionsmedizin vorgestellt.

Dies ist eine leicht ver?nderte Version eines Artikels von Adrian Ritter, der in den UZH News erschienen ist. Adrian Ritter ist freischaffender Journalist.

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