Vira Bondar ist fasziniert von den fundamentalen Fragen der Physik. Sie forscht mit ultrakalten Neutronen und arbeitet daran, ?bungsstunden an der ETH Zürich noch spannender zu machen.
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?Man muss die Liebe zur Physik ausstrahlen, dann kann man die Studierenden auch für schwierige Themen begeistern?, ist Vira Bondar überzeugt. Und deshalb will die Teilchenphysikerin, dass Physik an der ETH Zürich mit Freude vermittelt wird – auch von denjenigen, die keine geborenen P?dagoginnen und P?dagogen sind. Zusammen mit Jonas Nuber und Manuel Zeyen, die ebenfalls in der Forschungsgruppe von ETH-Physikprofessor Klaus Kirch arbeiten, sowie Guillaume Schiltz, Lehrentwickler am Departement Physik, hat die gebürtige Ukrainerin vor rund zwei Jahren den ?Engaging Physics Tutoring?-Hub – kurz EPT-hub ins Leben gerufen. Der Hub unterstützt Lehrassistent:innen am Departement Physik bei der Vorbereitung der ?bungsstunden und zeigt ihnen, wie sie den zuweilen trockenen Stoff alltagsnah vermitteln k?nnen.
Die engsten Kontakte für Studierende
Lehrassistent:innen spielen in der ETH-Lehre eine wichtige, aber oft wenig beachtete Rolle. Sie leiten die ?bungsstunden, in denen die Studierenden das in der Vorlesung Erarbeitete praktisch vertiefen, und sind damit die engsten Kontakte zu den Studierenden. Da die Lehrassistent:innen in der Regel als Doktorierende mit ihren Forschungsprojekten bereits viel zu tun haben, ist diese zus?tzliche Verpflichtung für sie h?ufig eine grosse Belastung – vor allem wenn sie nicht einfach nur die vorgegebenen ?bungen mit den Studierenden durcharbeiten wollen, sondern den Stoff mit Hilfe von anschaulichen Beispielen einpr?gsam vermitteln m?chten.
Genau da setzt Bondar mit dem EPT-hub an: Auf der Webseite der Plattform finden die Assistent:innen zum einen erg?nzende Materialien, die sie in den ?bungsstunden verwenden k?nnen. Teilweise wurde diese Materialien von Assistent:innen selber entwickelt, die sich bemühten, den Unterricht attraktiver zu gestalten. ?Nun stellen wir es anderen zur Verfügung, damit das bereits vorhandene Wissen nicht verloren geht?, erkl?rt Bondar. Zum anderen k?nnen die Assistent:innen als Mitglieder des EPT-hub auch kurze Trainings absolvieren, bei denen sie p?dagogische Tipps und Tricks erhalten. ?Diese Trainings halten wir bewusst kurz, so dass diese auch wirklich besucht werden.?
Dabei setzt Bondar bewusst auf Freiwilligkeit. Ob eine Assistent:in beim Hub mitmachen will oder nicht, ist ihm oder ihr überlassen. ?Es gibt auch keine Kreditpunkte, die man sich dafür anrechnen lassen kann?, macht Bondar klar. ?Trotzdem machen viele mit, offenbar erleben sie unser Angebot als hilfreich.? Dabei profitieren die Assistent:innen nicht nur bei der Leitung der ?bungsstunden. ?Wir vermitteln in unseren Trainings F?higkeiten, die sie auch in ihrem sp?teren Berufsleben gut brauchen k?nnen?, ist Bondar überzeugt. ?Wie begeistert man Menschen, wie pr?sentiert man erfolgreich – solche Kompetenzen lernen sie bei uns.?
Eine Gemeinschaft entsteht
Besonders glücklich ist Bondar über das Sommercamp, bei dem sich die Lehrassistent:innen für einige Tage treffen. ?Wir führten das Camp dieses Jahr zum ersten Mal durch und hatten eine fantastische Stimmung?, erz?hlt Bondar mit Elan. ?Es entstand in diesen Tagen eine Gemeinschaft, die sich nun w?hrend des Semesters gegenseitig unterstützt.?
Bondar liegt es mit ihrer emotionalen Art, Menschen zusammenzubringen. Und sie liebt es, Wissen zu vermitteln. Schon als Kind habe sie ihren jüngeren Geschwistern fiktive Schulstunden gegeben, erinnert sie sich lachend. Nun m?chte sie die Idee des EPT-hubs auch ausserhalb des Physikdepartements bekannt machen.
?Physiker:innen erkunden meiner Ansicht nach die Welt auf der tiefsten, fundamentalen Ebene, auf der alles andere aufbaut. Das gef?llt mir an diesem Fach.?Vira Bondar
Wie neutral sind Neutronen
Doch eigentlich kam Bondar nicht wegen der Lehre an die ETH Zürich. Die Hochschule lernte sie erstmals 2015 im Rahmen eines Excellence Scholarships kennen. Als Postdoc in Kirchs Gruppe arbeitet sich nun an einem grossen Experiment mit, das am Paul Scherrer Institut durchgeführt wird. Bei diesem Experiment untersuchen die Forschenden die elektrischen Eigenschaften von ultrakalten Neutronen. Im Gegensatz zu ?normalen? Neutronen k?nnen ultrakalte Neutronen l?ngere Zeit eingefangen werden und lassen sich so besser untersuchen.
Neutronen gelten gemeinhin als elektrisch neutral. Doch es k?nnte sein, dass sie bei n?herem Hinsehen doch eine interne Ladungsverteilung haben, also einen elektrischen Dipol erzeugen. Um das nachzuweisen, muss man die ultrakalten Neutronen in der Versuchsanlage m?glichst vor jeglicher magnetischer St?rung abschirmen. ?Unsere Gruppe an der ETH Zürich hat für dieses Experiment ein entscheidendes Teilsystem entwickelt, das aus 55 Kilometern Kabeln besteht und ?nderungen im umgebenden magnetischen Feld aktiv kompensieren kann?, so Bondar.
Bei diesen Experimenten geht es nicht nur um irgendeine kuriose Besonderheit dieser Teilchen. ?Letztlich geht es bei unserer Forschung auch um die grundlegende Frage, warum beim Urknall nicht gleich viel Materie wie Anti-Materie produziert wurde?, erl?utert Bondar. ?Das Standardmodell der Teilchenphysik ist zwar sehr erfolgreich, aber es kann diese Ungleichheit im Universum eben nicht erkl?ren. Von unseren Experimenten erhoffen wir uns einen Hinweis, warum das so ist.?
Teilchenphysik am Familienfest
?Physiker:innen erkunden meiner Ansicht nach die Welt auf der tiefsten, fundamentalen Ebene, auf der alles andere aufbaut?, meint Bondar. ?Das gef?llt mir an diesem Fach.? Ihre Faszination für die Physik ist sozusagen erblich bedingt: ?In unserer Familie gibt es unz?hlige Physikerinnen und Physiker, das macht Familientreffen manchmal etwas langweilig?, meint sie lachend. Besonders ihr Grossvater, ein Nuklearphysiker, inspirierte sie bereits als Kind.
Trotz dieser biografischen Pr?gung z?gerte sie vor dem Studienbeginn, ob sie wirklich dieses Fach w?hlen soll. ?Ich musste mich entscheiden, ob ich Musikerin oder Physikerin werden soll?, meint die passionierte Geigenspielerin. ?Ich entschied mich dann für die Physik, weil ich dachte, dass ich als Musikerin wohl nicht mehr den Weg zurück zur Physik finden würde.?
Ganz losgelassen hat sie die Musik trotzdem nicht, spielt sie doch immer noch auf hohem Niveau Geige, wenn auch nicht so oft, wie sie eigentlich m?chte. ?Die Violine ist ein anspruchsvolles Instrument, das viele Freiheiten bietet. Ich habe damit früher sogar Hardrock gespielt?, erz?hlt Bondar. ?Sie ist für mich die K?nigin der Instrumente, weil sie mich emotional am meisten berührt. Wenn ich traurig bin, spiele ich Geige, und dann geht es mir sofort besser.?
Menschen sind der Schlüssel
Obwohl sie bereits seit l?ngerer Zeit in Westeuropa lebt, hat sich mit dem Beginn des Ukrainekriegs auch ihr Leben ver?ndert. ?Besonders am Anfang war es schwierig?, erinnert sie sich. ?Wir hier in der sicheren Schweiz fühlten uns irgendwie schuldig. Es brauchte einige Zeit, um das zu überwinden.? Immerhin konnte ein Grossteil ihrer Familie ins Ausland flüchten, auch ihr Grossvater lebt inzwischen in der Schweiz.
Dass sich die ETH Zürich so stark für die Menschen in der Ukraine eingesetzt hat, beeindruckt Bondar. Auch wenn die Situation noch sehr schwierig ist, freut sie sich doch auch, dass sie nun durch diese Krise andere Forscherinnen und Forscher aus ihrem Heimatland kennenlernen konnte, die ebenfalls hier an der ETH t?tig sind.
Die schwierige Situation in der Heimat machte ihr auch bewusst, wie wichtig Beziehungen zu anderen Menschen sind. ?Menschen sind letztlich der Schlüssel zu allem – nicht nur im Privaten oder in der Lehre, sondern auch bei der Erforschung von Neutronen?, meint sie. ?Deshalb bin ich auch so froh, dass wir in unserer Forschungsgruppe eine wirklich tolle Zusammenarbeit pflegen und uns im Alltag gegenseitig unterstützen.?