Keine Klimaneutralität ohne kritische Rohstoffe
Die europ?ische Energiewende wird ohne Zugang zu essenziellen Metallen wie seltenen Erden nicht gelingen, sagt Sicherheitsforscher Julian Kamasa. Ein verantwortungsvoller Abbau und das Recycling von kritischen Rohstoffen k?nnten Europa helfen, die Importabh?ngigkeit zu senken und die Klimaziele zu erreichen.
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Seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und dem Gas-Erpressungsversuch treibt Europa die Energiewende auch unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit voran.1 Klimaneutralit?t hat Konjunktur, verspricht das Fernziel doch implizit, uns aus den Fesseln fossiler Energietr?ger zu befreien. Dabei übersehen wir, dass mit erneuerbaren Energien neue Abh?ngigkeiten drohen.
Denn für die Energiewende ben?tigt Europa grosse Mengen an Rohstoffen, zu denen es keinen direkten Zugang hat. Es sind Elemente wie Kobalt, Lithium oder Silizium sowie viele Metalle der seltenen Erden mit so exotischen Namen wie Dysprosium oder Neodym. Weil diese Rohstoffe für Windturbinen, Lithium-Ionen-Batterien und Elektromotoren unverzichtbar sind, werden sie als ?kritisch? bezeichnet.2 Zudem gelten sie als problematisch: Die kritischen Rohstoffe werden gr?sstenteils in autorit?ren Staaten mit tiefen Umwelt- und Arbeitsstandards abgebaut und verarbeitet. Bei den seltenen Erden etwa ist die EU zu über 98 Prozent auf Importe aus China angewiesen.3
Mit schmutzigen Rohstoffen in die Klimaneutralit?t?
Damit wird klar: Wer Klimaneutralit?t fordert, sollte auch Verantwortung übernehmen. Zwei Fehler gilt es zu vermeiden. Erstens sollte der Abbau und die Verarbeitung von kritischen Rohstoffen für die Energie- und Mobilit?tswende nicht mehr Umweltsch?den verursachen als verhindern. Zweitens sollten fossile Energietr?ger aus autokratischen Regimen nicht durch Rohstoffe aus autokratischen Regimen ersetzt werden. In der Essenz bedeutet dies: Wenn wir Windr?der, Elektromobilit?t und Solarpanels wollen, dann müssen wir in Europa auch die dafür ben?tigten Rohstoffe vermehrt selbst abbauen.
?Bei kritischen Rohstoffen wie seltenen Erden kann Europa die Importabh?ngigkeit – anders als bei russischem Erdgas – nicht so schnell reduzieren.?Julian Kamasa
Das sieht auch die EU so. Chinas Exportrestriktionen auf seltene Erden 2010 hatten die europ?ischen Staaten aufgeweckt – seither figurieren Themen wie heimischer Rohstoffabbau, Kreislaufnutzung oder diversifizierte Lieferketten weit oben auf der Priorit?tenliste.4 In diesem Sinne ist der vielbeachtete Fund seltener Erden in Schweden vom Januar 2023 eine logische Konsequenz intensivierter exploratorischer Aktivit?ten. Und natürlich ist dies eine gute Nachricht – allerdings vergehen von der Planung bis zur Inbetriebnahme einer Mine gut 10 bis 15 Jahre.5 Das zeigt auch, dass sich die Importabh?ngigkeit – anders als bei russischem Erdgas – nicht so schnell reduzieren l?sst.
Versorgungssicherheit kostet
Eine europaweite Produktion kritischer Metalle w?re also enorm wichtig, trifft aber auf Widerst?nde. Heute werden diese Rohstoffe günstig aus L?ndern mit grossen Vorkommen und kleinen regulatorischen Hürden importiert. Dies sind unter anderem Staaten wie die DR Kongo für Kobalt, Chile für Lithium, Südafrika für Platinum, Russland für Palladium sowie China für seltene Erden, Tungsten, Titanium oder Grafit. Zwei Drittel aller gefertigten Lithium-Ionen-Batterien kommen aus China, von dem die EU besonders abh?ngig ist. Weil Abbau und Verarbeitung das Grundwasser verunreinigen und teilweise auch Kinder in Minen arbeiten, hat der Sektor einen schlechten Ruf.
Die Ausgangslage Europas, den Rohstoffbedarf für die Energiewende vermehrt selbst zu decken, w?re indes nicht schlecht. Seltene Erden sind nicht so selten, wie der Name nahelegt – Fachleute vermuten weitere Vorkommen in europ?ischen L?ndern. Für Bergbauregionen entstehen Chancen, sich weg von der Kohle hin zu neuen Rohstoffen zu orientieren und Arbeitspl?tze zu erhalten.6 Derweil zeigen Schweden und Finnland, dass Rohstoffabbau umweltvertr?glich sein kann, wenn dieser verantwortungsbewusst geschieht.7 Starke industriepolitische Anreize und die Bereitschaft, auch in bislang nicht rentable Bereiche wie das Recycling zu investieren, w?ren notwendige Voraussetzungen.8
Multiple Chance für Europa
Wenn es Europa schafft, resiliente Rohstofflieferketten mit hohen Umweltstandards für grüne Technologien zu etablieren, dann w?re das ein mehrfacher Gewinn.
Erstens bringt jede neue verantwortungsbewusste Rohstoffmine ?kologische Vorteile, weil sie anderen Minen als Vorbild dienen und ?kologischen Wandel f?rdern. Zweitens schafft ein europ?isches ?kosystem aus fortschrittlichen Rohstoffminen, Verarbeitungswerken, Batteriefabriken und Wiederverwertungsanlagen neue Arbeitspl?tze in einer Kreislaufwirtschaft. Drittens kann Europa seine Abh?ngigkeit von autokratischen Staaten reduzieren und w?re weniger erpressbar. Schliesslich profitieren Clean-Tech und andere Sektoren, wenn sie sich zuverl?ssig mit den Schlüsselrohstoffen von morgen versorgen k?nnen.
Dieser Blogbeitrag erscheint auch als Meinungsbeitrag in der externe Seite NZZ am Sonntag vom 26.02.2023.
1 Europ?ische Kommission, ?REPowerEU: erschwingliche, sichere und nachhaltige Energie für Europa?, externe Seite commission.europa.eu, 18.05.2022.
2 Center for Securities Studies, ETH Zürich, Geopolitische Dimensionen der Energiewende. CSS Analysen zur Sicherheitspolitik (Nr. 308, Juli 2022) PDF
3 European Commission, externe Seite Critical Raw Materials for Strategic Technologies and Sectors in the EU: A Foresight Study, 2020.
4 European Commission, ?Critical Raw Materials Act: securing the new gas & oil at the heart of our economy?, externe Seite commission.europa.eu, 14.09.2022.
5 LKAB, ?Europe’s largest deposit of rare earth metals is located in the Kiruna area?, externe Seite lkab.com, 12.01.2023.
6 European Commission, externe Seite Joint Research Centre Science for Policy Report: EU coal regions: opportunities and challenges ahead, 2018, S. 74.
7 SIM2 KU Leuven, ?Full documentary - Responsible Mining in Europe: A new paradigm to counter climate change?, externe Seite youtube.com, 20.10.2022.
8 Alessandra Hool, Luis Tercero, Patrick W?ger, ?externe Seite Kritische Rohstoffe: ein Thema für die Schweiz der Zukunft?, in: swissfuture Nr. 02 (2022).