Die Welt verändert sich

Intensivere Niederschl?ge, l?ngere Dürrezeiten, schmelzende Gletscher: Der Klimawandel hat dramatische Folgen für den globalen Wasserkreislauf.

Brache Landschaft durch die eine Strasse führt, am Himmel ein wachsender Wirbelsturm.
Für eine pr?zisere Voraussage müssen Klimamodelle auch kleinr?umige Gewitterzellen exakt darstellen k?nnen. (Bild: Juergen Freund / Nature Picture Library / Science Photo Library)

Den Begriff Klimaerw?rmung findet Christoph Sch?r, ETH-Professor für Klima- und Wasserkreislauf, eigentlich nicht ganz treffend. ?Klimaanfeuchtung würde den Sachverhalt besser beschreiben. Denn der gr?sste Teil der Energie, die von der Sonne zur Erde gelangt, geht in die Verdunstung des Wassers und treibt damit den Wasserkreislauf an.? Doch just die Verdunstung des Wassers bereitet den Forschenden bei der Modellierung des Klimas am meisten Kopfzerbrechen. Die globalen Klimamodelle berechnen das Klima mit Hilfe von Gitterpunkten, die einen Abstand von 50 bis 100 Kilometer haben, und k?nnen daher die kleinr?umigen Gewitterzellen nicht korrekt abbilden. Gerade das w?re aber wichtig, denn die geografische und saisonale Verteilung der Gewitterzellen treibt die atmosph?rische Zirkulation an, vor allem in den Tropen, wo die Sonneneinstrahlung am st?rksten ist.

Bisher überbrücken die Forschenden diese Lücke, indem sie die Gewitterwolken in den Modellen behelfsm?ssig mit zus?tzlichen Parametern abbilden – mit m?ssigem Erfolg. ?Die Voraussagen des künftigen Klimas sind immer noch relativ unpr?zis?, h?lt Sch?r fest. ?Wenn wir nicht wissen, wie viele Wolken in den Tropen entstehen, wissen wir nicht, wie viel Licht auf die Erdoberfl?che trifft – und damit auch nicht, wie gross das globale Energiebudget effektiv ist.?

Porträtfoto von Christoph Schär
?Klimaanfeuchtung würde den Sachverhalt besser beschreiben als Klimaerw?rmung. Denn der gr?sste Teil der Energie, die von der Sonne zur Erde gelangt, geht in die Verdunstung des Wassers und treibt damit den Wasserkreislauf an.?
Porträtfoto von Christoph Schär
Christoph Sch?r

Eindrückliche Pr?zision

Diese Unsicherheit wollen die Wissenschaftler:innen in den n?chsten Jahren überwinden. Sch?r arbeitet bereits mit Modellen, die nur noch eine Aufl?sung von 1 bis 2 Kilometer haben. Damit kann man das Geschehen mit hoher Pr?zision nachbilden. Sch?r hat mit seiner Gruppe auf einem Supercomputer das Geschehen im tropischen Atlantik über mehrere Jahre hinweg nachbildet und daraus eine eindrückliche Visualisierung erstellt, die einem Satellitenbild verblüffend ?hnlich sieht: Regenfronten ziehen von Ost nach West quer über Afrika, vor der Küste Brasiliens bilden sich klein strukturierte Wolkenfelder, mitten im Atlantik entstehen Hurrikans und ziehen nach Norden. ?Das Modell weiss nichts über das tropische Klima, doch es bildet das Geschehen allein anhand der physikalischen Gesetze realit?tsnah ab?, stellt Sch?r mit Begeisterung fest. Noch ist es nicht m?glich, mit solchen hochaufl?senden Modellen l?ngerfristige Szenarien zu rechnen. Aber man kann mit ihnen zumindest die Unsicherheiten in den globalen Modellen reduzieren.

Auch Extremereignisse bilden die hochaufl?senden Modelle viel genauer ab, wie Sch?r am Beispiel Südwesteuropa illustriert. Der Vergleich mit den Messdaten ergibt, dass die bisherigen Modelle massiv untersch?tzen, wie viel Regen in einer Stunde maximal fallen kann. Die hochaufl?senden Modelle hingegen bilden die Realit?t sehr gut ab und erkennen genau, dass im Herbst am Alpensüdrand, entlang der ligurischen Küste oder in der Provence mit besonders heftigen Niederschl?gen und ?berschwemmungen gerechnet werden muss.

Die Projektionen der künftigen Extremereignisse stimmen gut mit einem Gesetz überein, das im 19. Jahrhundert von Rudolf Clausius und ?mile Clapeyron entdeckt wurde, so Sch?r. ?Das war damals reine Grundlagenforschung, niemand dachte an eine praktische Anwendung in der Klimaforschung.? Aus dem Gesetz l?sst sich ableiten, dass die Atmosph?re pro Grad Erw?rmung ungef?hr 6 Prozent mehr Wasser aufnehmen kann. Aus diesem Grund muss künftig mit wesentlich intensiveren Niederschlagsereignissen gerechnet werden als bisher. ?Das hat für den Hochwasserschutz Konsequenzen?, erkl?rt Sch?r. ?Die Vergangenheit verliert ihren Wert als Massstab für die Zukunft.?

Die physikalischen Gesetze zeigen zwar, dass die w?rmere Atmosph?re mehr Wasser aufnehmen kann. Dennoch werden viele Regionen in Zukunft unter Wassermangel leiden. ?Der absolute Wassergehalt in der Atmosph?re nimmt zwar überall zu, doch die relative Feuchte kann regional auch abnehmen?, erkl?rt Sch?r das vermeintliche Paradox. ?Es wird also mehr Wasser aus den B?den verdunsten. Gleichzeitig nimmt die Wolkenbildung ab und es fallen weniger Niederschl?ge.? Das hat wohl nicht nur für Südeuropa gravierende Folgen, h?lt der Forscher fest, sondern auch für die nordafrikanischen L?nder, die bereits heute mit Wasserknappheit k?mpfen.

Hochwasser und Waldbr?nde

Das Zuviel und Zuwenig an Wasser ist auch das Kernthema der Hydrologin Manuela Brunner, die als ETH-Assistenzprofessorin Extremereignisse im Gebirge untersucht. ?Das Wasser im Gebirge spielt sowohl bei ?berschwemmungen als auch bei Trockenphasen eine Schlüsselrolle?, erkl?rt sie. ?Zudem sind Gebirge vom Klimawandel besonders betroffen, weil die Temperaturen dort st?rker ansteigen als im Flachland.?

Ob Hochwasser künftig h?ufiger und intensiver ausfallen werden, untersucht Brunner anhand von Beobachtungsdaten und Modellsimulationen. ?Bei den mittelgrossen Hochwassern, die alle 10 bis 20 Jahre auftreten, sehen wir über den gesamten Alpenraum hinweg ein differenziertes Bild?, erl?utert sie. ?In einigen Regionen steigt das Risiko, in anderen nimmt es eher ab.? Eine wichtige Rolle spielt dabei der Zustand des Bodens. ?Wenn der Untergrund trocken ist, kann er viel Wasser aufnehmen und d?mpft so das Hochwasser. Ist er hingegen ges?ttigt, entf?llt dieser Effekt.?

Porträtfoto von Manuela Brunner
?Das Wasser im Gebirge spielt sowohl bei ?berschwemmungen als auch bei Trockenphasen eine Schlüsselrolle.?
Porträtfoto von Manuela Brunner
Manuela Brunner

Bei den extremen Jahrhunderthochwassern hingegen erwartet Brunner für den ganzen Alpenraum eine deutliche Zunahme des Risikos. ?Da f?llt so viel Wasser, dass der Zustand des Bodens keine grosse Rolle mehr spielt?, sch?tzt sie. Die einzelnen Faktoren, die ein Hochwasser ausl?sen k?nnen, seien an sich bekannt. ?Doch das Zusammenspiel verstehen wir noch nicht gut genug. Was geschieht, wenn w?hrend der Schneeschmelze starke Niederschl?ge fallen? Wann wird daraus ein extremes Ereignis? Und wie h?ufig kommt diese Kombination vor??

Doch nicht nur Hochwasser stellen ein zunehmendes Problem im Alpenraum dar. ?Wir werden in Zukunft auf der Alpennordseite h?ufigere Trockenperioden und m?glicherweise sogar auch Waldbr?nde erleben?, ist Brunner überzeugt. Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich: Die Niederschl?ge im Sommer nehmen tendenziell ab, gleichzeitig nimmt die Verdunstung aufgrund der h?heren Temperaturen zu. Und drittens liegt im Frühjahr immer ?fters weniger Schnee als früher, was die Vegetation zus?tzlich austrocknen l?sst.

?Grunds?tzlich nehmen die Niederschl?ge im Winter zwar zu?, erkl?rt die Forscherin. ?Doch wegen der h?heren Temperaturen wird davon weniger als Schnee gespeichert. Wenn wir im Frühjahr mit einer dünneren Schneedecke in die warme Jahreszeit starten, verst?rkt das in trockenen Sommern den Wassermangel.?

Kritisch findet Brunner, dass sich Trockenzeiten künftig über mehrere Jahre erstrecken k?nnten. ?Bisher musste man sich in den Alpen nach einem trockenen Sommer nicht gross Sorgen machen, weil das Defizit sp?testens im n?chsten Winter wieder ausgeglichen wurde?, h?lt sie fest. ?Doch in Zukunft kann es sein, dass sich das Wasserdefizit über den Winter hinweg sogar weiter versch?rft.?

Wie schnell schmelzen die Gletscher?

Erschwerend kommt hinzu, dass die Gletscher in absehbarer Zeit im Sommer nicht mehr gleichviel Schmelzwasser liefern werden wie bisher. Daniel Farinotti, ETH-Professor für Glaziologie, erkl?rt: ?Im besten Fall verfügt die Schweiz 2100 noch über 40 Prozent des heutigen Gletschervolumens. Im ungünstigsten Fall sind es nur noch einige wenige Prozente.? In Bezug auf die Einsch?tzung der künftigen Situation befinde sich die Schweiz in einer guten Lage: ?Wir wissen sehr genau, wie viel Eis hier noch vorhanden ist, weil wir die meisten Gletscher mit Radar vermessen haben?, berichtet der Forscher.

Anders sieht die Situation im Himalaya aus, wo Farinotti und sein Team ebenfalls ein Projekt durchführen. Dort liegen die Gletscher viel h?her, so dass man sie nicht einfach vermessen kann. Zudem stellen die betroffenen L?nder aus strategischen und geopolitischen Gründen nur z?gerlich Daten für die Forschung bereit. Die Prognosen, wann die Gletscherschmelze im Himalaya das Maximum erreichen wird, weichen daher um bis zu einem Jahrzehnt voneinander ab. ?Für das bev?lkerungsreiche Tiefland macht das natürlich einen grossen Unterschied?, stellt der Glaziologe fest.

?Im besten Fall verfügt die Schweiz 2100 noch über 40 Prozent des heutigen Gletschervolumens. Im ungünstigsten Fall sind es nur noch einige wenige Prozente.?
Daniel Farinotti

Gefragt sind Prognosen zur Gletscherentwicklung auch in der Schweiz, müssen doch in den n?chsten Jahren die Konzessionen bei etlichen Stauseen erneuert werden. Die Kraftwerksbetreiber m?chten daher wissen, wie viel Wasser ihnen künftig zur Verfügung stehen wird. Gleichzeitig interessieren sie sich für zeitlich detaillierte Prognosen, stellt Farinotti fest. ?Sie wollen wissen, ob die Fassungen bei den zu erwartenden Extremereignissen noch ausreichen werden.?

Wirklich Sorgen macht dem Forscher aber ein anderes Thema: das Abschmelzen der polaren Eisschilde. ?In unserer Gruppe entwickeln wir derzeit ein detailliertes Fliessmodell des gr?nl?ndischen Eisschildes, das komplett auf physikalischen Prozessen beruht?, erz?hlt Farinotti. ?Wir bilden den Eisk?rper mit einer Aufl?sung von 25 Metern ab, damit wir m?glichst gut einsch?tzen k?nnen, wie sich der Eisschild in den n?chsten Jahrzehnten entwickeln wird.? Die komplexen Berechnungen wollen die ETH-Forschenden auf dem Supercomputer Lumi durchführen, dem schnellsten Rechner Europas.

Auch beim antarktischen Eisschild gibt es eine Reihe von offenen Fragen, die Farinottis Gruppe zusammen mit anderen untersucht. Kritisch ist die Lage vor allem beim westantarktischen Eisschild, der auf einem Felsbett aufliegt, das sich unter dem Meeresspiegel befindet. ?Die Topografie des Felsbettes entscheidet massgeblich mit, wie schnell sich das Eis zurückziehen wird?, erl?utert der Glaziologe. Für die Küstenregionen weltweit ist dies eine entscheidende Frage: ?Wenn der westantarktische Eisschild abschmilzt, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Meeresspiegel bis Ende des 21. Jahrhunderts bis um einen Meter steigt?, sagt Farinotti. Berücksichtigt man, dass in diesem ersten Meter Meeresspiegel zurzeit rund 250 Millionen Menschen leben, ist klar, warum die Zukunft der Eisschilde nicht nur in den Polarregionen von Bedeutung ist.

Zu den Personen

Manuela Brunner ist Assistenzprofessorin am Departement Umweltsystemwissenschaften und Leiterin der Forschungsgruppe Hydrologie und Klimafolgen in Gebirgsregionen beim WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos.

Daniel Farinotti ist Professor für Glaziologie an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der ETH Zürich und an der Eidgen?ssischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf.

Christoph Sch?r ist Professor für Klima- und Wasserkreislauf am Departement Umweltsystemwissenschaften.

?Globe? Wasser

Globe 23/02 Titelblatt: Vier Arme spielen mit Eiswürfeln

Dieser Text ist in der Ausgabe 23/02 des ETH-????Magazins Globe erschienen.

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