Der Mann, der Freak Events modelliert
Christoph Sch?r ist einer der Schweizer Klimawissenschaftler, die die hochaufl?sende Klimamodellierung gepr?gt haben. Nach über 35 Jahren an der ETH Zürich wird er nun emeritiert. Im Portr?t erz?hlt er, warum er selbst nicht müde wird, sich mit dem Klimawandel zu besch?ftigen.
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?Instrumentelle Beobachtungen und Rekonstruktionen der globalen und hemisph?rischen Temperaturentwicklung zeigen eine deutliche Erw?rmung w?hrend der letzten rund 150 Jahre.? Mit diesem Satz beginnt das meistzitierte Paper von Christoph Sch?r. Das Erstaunliche daran: Was wir heute selbstverst?ndlich als Konsens in der Wissenschaft verstehen, grenzte 2004 – aus diesem Jahr stammt das Paper – an eine kleine Sensation.
Der Hitzesommer von 2003 war ein ?Freak Event?, bei dem sich die Klimawissenschaft nicht richtig erkl?ren konnte, wie er ins Bild passt. Christoph Sch?r stellte die These auf, dass solche Extremereignisse in Zukunft wegen des Klimawandels deutlich h?ufiger auftreten müssten als man es allein aufgrund der mittleren Erw?rmung erwarten würde. Heute wissen wir, dass er damit recht behalten sollte.
Vom Wetter zum Klima
Christoph Sch?r wurde 1958 in Wil (SG) geboren. Da ihn Naturwissenschaften schon immer begeisterten, begann er an der ETH Zürich ein Physikstudium – mit der Idee, sich der Astrophysik zuzuwenden. Es kam anders. Er landete zuerst bei den Wetterprognosen, genauer gesagt bei der Erforschung von Tiefdruckgebieten. Kaltfronten und die dahinterliegenden Schauerzellen ist übrigens bis heute die Wetterkonstellation, die den Wissenschaftler am meisten fasziniert. ?Früher war die Situation ja ganz anders. Wir wussten kaum, woher die Energie für die Entstehung eines Tiefdruckwirbels kam, und unsere Modellierungen hatten einen Gitterabstand von rund 100 Kilometer. Damit konnten wir nur grobe Rechnungen machen, und die in die Tiefdruckgebiete eingebetteten Wetterph?nomene – zum Beispiel Starkniederschl?ge – nur ungenügend erkl?ren.?
Damit ist auch der Kern von Sch?rs Forschungst?tigkeit beschrieben: Stets bemühte er sich, Modellierungen kleinr?umiger zu machen, damit werden die Vorhersagen nicht nur pr?ziser was die zeitliche Dimension angeht, sie werden auch relevanter, weil sie lokaler anwendbar sind. ?Heute sind unsere Klimamodelle bei einem Gitterabstand von rund zwei Kilometern – ich h?tte tats?chlich am Anfang meiner Karriere nie daran geglaubt, dass wir so schnell Fortschritte machen k?nnen?, erkl?rt Sch?r. Anf?nglich seien weltweit nur eine Handvoll Forschungsgruppen auf diesem Forschungsfeld aktiv gewesen und manchmal seien sie auch etwas bel?chelt worden, meint der Forscher schmunzelnd. Heute arbeiten überall auf der Welt Forschende intensiv an pr?ziseren Klimamodellen.
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Wetter und Klima. Ersteres kann man beobachten und die Modellierungen leicht überprüfen, beim Klima ist das viel schwieriger. Da für Sch?r aber früh ausser Frage stand, dass der Klimawandel in Zukunft der entscheidende Faktor ist, ging er in den 1990er Jahren dazu über, auch die Auswirkungen des Klimawandels kleinr?umiger zu modellieren. Der ?Freak Event? sei auch für ihn ein Weckruf gewesen. Seine Forschungsgruppe publizierte in den letzten Jahren zahlreiche wichtige Beitr?ge zum regionalen Klimawandel und seine Auswirkungen auf Wetterextreme. Für diese intensive und langj?hrige Forschungst?tigkeit wurde Christoph Sch?r 2023 unter anderem die Vilhelm-Bjerknes-Medaille verliehen.
Die Crux mit der Modellierung
Auch Christoph Sch?r ist klar, dass Modellierungen nicht nur den besten Ruf haben und gelegentlich als willkürlich angezweifelt werden. Für ihn ist das aber auch eine Sache der Kommunikation: ?Jede Modellierung hat Grenzen, und das müssen wir besser erkl?ren. Wenn aber verschiedene Modelle auf dieselben Resultate kommen, dann ist das ein klarer Hinweis darauf, dass an den Aussagen etwas dran ist.? Er selbst stellt sich an ?ffentlichen Vortr?gen auch den Fragen von Klimaskeptikern und unterscheidet dabei klar: ?Es gibt beim Klimawandel mathematische und physikalische Fakten, die nicht verhandelbar sind. Es macht ja auch keinen Sinn, darüber abzustimmen, ob der Satz des Pythagoras richtig ist oder nicht.? Anders sieht es aus mit Zweifeln an der Interpretation der Klimadaten – da versuche er oft, die wissenschaftlichen Fakten und die pers?nlichen Erfahrungen der Menschen zusammenzubringen.
Ist Klimaforschung per se politisch?
Die Klimaforschung polarisiert heute stark und ger?t h?ufig in Verdacht, eine politische Agenda zu haben. War für Sch?r mehr politisches Engagement nie ein Thema? ?Beim Büroaufr?umen habe ich unsere wissenschaftliche Stellungnahme zur Vernehmlassung des ersten CO2-Gesetzes von 1994 gefunden. Wir haben damals klar gesagt, dass die vorgeschlagenen Massnahmen viel zu mild sind – wir waren also schon in die politischen Prozesse involviert, aber die dringenden Massnahmen kamen lange kaum vom Fleck?, erinnert sich der Klimaforscher. Er bedaure es auch, dass es nicht mehr Wissenschaftler:innen im Parlament gebe.
Er selbst habe zahlreiche ?ffentliche Vortr?ge zum Klimawandel gehalten, sei vermutlich aber eher ein Mann der leisen T?ne, der nicht im Rampenlicht und damit auch nicht in der Schusslinie stehen m?chte. Sehr dankbar ist Sch?r aber für seine Kolleginnen und Kollegen, die immer wieder versuchten, die ?ffentlichkeit und die Politik auch wachzurütteln, obwohl dieses Engagement auch viel Unangenehmes mit sich bringe.
Die Zukunft und die Zukunfts?ngste
Selbst über seine Emeritierung hinaus unterstützt er weiterhin Studierende bei ihren Master- und Doktorarbeiten. ?Mich inspirieren junge Menschen, weil sie die Welt anders sehen als ich. Aber der Austausch mit ihnen konfrontiert einen auch damit, dass wir den n?chsten Generationen in Sachen Klima ein schweres Erbe hinterlassen?, meint der Forscher nachdenklich. Er verstehe sehr gut, dass viele Zukunfts?ngste haben und auch müde seien vom Thema Klimawandel. ?Dagegen hilft mehr Wissen! Ich bin überzeugt, dass es gelingen wird, den Klimawandel zu mindern, auch wenn wir ihn nicht verhindern k?nnen. Mir selbst hilft es, mich noch mehr wissenschaftlich mit dem Klimawandel zu befassen, um genauer zu verstehen, wo wir die Hebel ansetzen müssen?, so der ETH-Professor.
Wenn man Christoph Sch?r nach dem Ereignis fragt, dass ihm in seiner ETH-Zeit am besten in Erinnerung geblieben ist, antwortet er spontan: Die Abschiedsvorlesung von Hans Ulrich Dütsch aus dem Jahre 1986. Zum ersten Mal habe er dort geh?rt, dass jemand an der ETH ?ffentlich aussprach, dass vermutlich der Mensch das Ozonloch verursacht habe und damit die Vorstellung etablierte, dass der Mensch durchaus einen Einfluss auf klimatische Faktoren haben k?nnte. Plant er einen ?hnlichen Exploit bei seiner Abschiedsvorlesung? ?Nein, grosse Knalleffekte entsprechen mir nicht so?, meint der Klimaforscher lachend, aber sagen, was Sache ist, werde er schon.
Abschiedsvorlesung
Am Montag, 11 M?rz um 17.15 Uhr h?lt Professor Christoph Sch?r seine Abschiedsvorlesung mit dem Titel Der Klimawandel – seit langem vorhergesagt, seit 20 Jahren offensichtlich im Audi Max. Die Veranstaltung wird auch live gestreamt unter: externe Seite http://bit.ly/audimax-stream.