Gegen Mangelernährung bei Kindern
Der Bioingenieur Randall Platt entwickelt Bakterien, die den Zustand des Darms erfassen k?nnen. Die nicht-invasive Diagnostik soll l?ngerfristig dazu beitragen, Mangelern?hrung bei Kindern im Globalen Süden effektiver zu bek?mpfen.
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Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind 148 Millionen Kinder unter fünf Jahren von verz?gerter Entwicklung aufgrund von Mangelern?hrung betroffen und werden deshalb voraussichtlich nie ihr vollst?ndiges Entwicklungspotenzial erreichen. Gründe für Mangelern?hrung sind eine unzureichende Nahrungsversorgung oder eine mangelhafte Verwertung von N?hrstoffen wie Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen. Dadurch wird das Wachstum verlangsamt und das Immunsystem geschw?cht. Betroffen sind vor allem Kinder in Asien und Afrika.
In Simbabwe leidet die Bev?lkerung seit Jahrzehnten unter einer politischen und wirtschaftlichen Krise, mit drastischen Folgen für die Gesundheit. Regelm?ssig kommt es zu Ausbrüchen von Typhus, Masern und Cholera. Am st?rksten davon betroffen sind Kinder. Laut Unicef waren 2023 rund zwei Millionen Kinder in Simbabwe auf humanit?re Hilfe angewiesen. ?Viele Mütter, mit denen ich zusammenarbeite, haben nur w?hrend dreier Stunden am Tag Zugang zu fliessendem Wasser?, erz?hlt Kerina Duri, Professorin für Immunologie an der Universit?t Simbabwe. ?Ein Fünftel der Frauen lebt mit weniger als einem US-Dollar am Tag.?
Rolle der Darmflora
Duri hat vor fünf Jahren eine Kohorte von 1200 Mutter-Kind-Paaren aufgebaut und begleitet diese seither wissenschaftlich. Die Mütter leben in sehr dicht besiedelten Vierteln in der Hauptstadt Harare, viele leiden unter Aids und ihre Kinder sind oft mangelern?hrt. Die Professorin interessiert sich vor allem für die Frage, weshalb Neugeborene, die durch ihre Mütter dem HI-Virus ausgesetzt waren, aber nicht infiziert wurden, trotzdem ein h?heres Sterberisiko haben. ?Es gibt viele Hinweise darauf, dass die Darmflora dabei eine zentrale Rolle spielt?, sagt Duri. ?Wenn Mütter mit einer antiretroviralen Therapie gegen Aids behandelt werden, ist die Darmflora des S?uglings w?hrend des Stillens diesen Medikamenten ausgesetzt. Das k?nnte einen Einfluss auf die physische, kognitive und soziale Entwicklung des Kindes haben.?
In Simbabwe fehle es heute noch weitgehend an Forschung und Wissen zur Darmflora, also der Gesamtheit an Mikroorganismen, die den Darm besiedeln. Umso mehr freut sich Duri über die Kooperation mit dem ?Basel Research Centre for Child Health? (BRCCH), das effektive medizinische Interventionen und Behandlungen für Kinder im Globalen Süden entwickeln will. Gegründet wurde es von der ETH Zürich gemeinsam mit der Universit?t Basel und der Fondation Botnar. Seit 2020 arbeitet Duri im Rahmen eines durch das BRCCH finanzierten Projekts mit Kolleginnen und Kollegen der Universit?ten Bern und Basel sowie der ETH Zürich zusammen. Das Ziel: eine verbesserte Diagnostik für den Zustand der Darmflora bei Kleinkindern.
Zu der Person
Randall Platt ist Professor für Biological Engineering am Departement Biosysteme der ETH Zürich und am Departement Chemie der Universit?t Basel.
Bakterien als Sensoren
Leiter des fünfj?hrigen Projekts ist Randall Platt, Professor für Biological Engineering an der ETH Zürich. Im Oktober ist seine Forschungsgruppe in das neue Geb?ude des Departements Biosysteme in Basel eingezogen. Die Fensterfront in seinem hellen Büro gibt den Blick über die neue Nachbarschaft frei. Der 36-J?hrige erkl?rt: ?Uns fehlen heute Methoden, um Entzündungen, Infektionen und ern?hrungsphysiologische Probleme im Darm einfach und zuverl?ssig zu messen.? Dies, obschon man wisse, dass der Darm für die menschliche Gesundheit zentral sei. Er regelt praktisch s?mtliche Organe, inklusive Gehirn, und spielt für das Immunsystem und den Metabolismus eine wichtige Rolle.
Für Analysen zum Zustand der Darmgesundheit wird heute meist eine Darmspiegelung durchgeführt. Das ist aufwendig und für Patient:innen unangenehm, auch weil der Darm zuvor vollst?ndig entleert werden muss. Zudem erlaubt sie lediglich eine Momentaufnahme, nicht aber die Abbildung einer Entwicklung. Platt forscht deshalb an einer eleganten Alternative. Seine Technologie ist nicht-invasiv, sie st?rt die normale Darmfunktion nicht und erm?glicht auch Aussagen über die Entwicklung des Darmmilieus. ?Es ist wie ein Technologiesprung von der Fotografie zum Film?, sagt Platt.
Als wenige Mikrometer grosse ?Videokamera? nutzen Platt und sein Team E.-coli-Bakterien, die mittels der Genschere Crispr/Cas so manipuliert werden, dass sie Ver?nderungen in ihrem biologischen Umfeld wahrnehmen und aufzeichnen k?nnen. ?Die Zellen dieser Bakterien passen sich an ihr Umfeld an, wenn sie den Darm durchwandern. Sie reagieren auf pH-?nderungen, auf N?hrstoffe und Chemikalien?, erkl?rt Platt. Diese Reaktion l?sst sich messen. Auf genetischer Ebene fangen die Forschenden RNA-Moleküle in lebenden E. coli ein, um die Gene zu bestimmen, die die Bakterien als Reaktion auf das Darmmilieu w?hrend der Darmpassage exprimiert haben. So speichern die Forschenden die Genexpression im Darm auf einer Art bakterieller Speicherkarte. Dafür isolieren und sequenzieren sie die bakterielle DNA aus den F?kalien. Mittels Bioinformatik bestimmen die Forschenden, welche Gene w?hrend des Gangs durch den Darm aktiv waren und welche molekulare und mikrobiotische Umgebung das Bakterium dabei vorfand. Ob also zum Beispiel die N?hrstoffzusammensetzung des Darms für eine gesunde Entwicklung ausreichend ist.
?Wir k?nnen in Echtzeit verfolgen, ob der N?hrstoffgehalt einer Di?t für ein gesundes Darmmilieu ausreichend ist.?Randall Platt
In einer 2022 im Fachjournal Science erschienenen Studie beschreiben Platt und sein Team die Funktion dieser Videobakterien im Mausmodell. Im Experiment blieben sie w?hrend ein bis sieben Tagen im Darm der M?use aktiv und sammelten Daten. ?Wir konnten zeigen, dass mit unserer Technologie wichtige biologische Informationen in allen Regionen des Darms erfasst werden k?nnen.? Ein grosser Vorteil gegenüber der Endoskopie. Auch gelang es den Forschenden, die Auswirkung der Ern?hrung auf die Darmflora nachzuverfolgen.
Dafür fütterten sie drei Gruppen von M?usen mit unterschiedlicher Nahrung, einmal mit viel N?hrstoffen, viel Fett oder viel St?rke. Die sequenzierten Videobakterien zeigten je nach Ern?hrungstyp eine charakteristische Genexpression. ?Wir konnten praktisch in Echtzeit verfolgen, ob der N?hrstoffgehalt einer Di?t für ein gesundes Darmmilieu ausreichend ist.?
Gezielter gegen Defizite
Mit einer solchen Diagnostikplattform k?nnten Kinder, die unter Mangelern?hrung oder anderen Defiziten leiden, künftig individuell und gezielter behandelt werden, so die Hoffnung der Forschenden. Dafür ist auch zus?tzliches Wissen zu den Abh?ngigkeiten zwischen Ver?nderungen der Darmflora und bestimmten Krankheitsauspr?gungen n?tig. Platt arbeitet deshalb im BRCCH-Projekt eng mit ETH-internen und -externen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Darunter Uwe Sauer, ETH-Professor für Systembiologie, der sich in seiner Forschung auf den mikrobiellen Stoffwechsel und die Interaktionen zwischen Wirt und Mikroben fokussiert.
Andrew Macpherson, Professor und Chefarzt Gastroenterologie am Inselspital Bern, hat im Rahmen des Projekts eine eigene Mutter-Kind-Kohorte in der Schweiz aufgebaut. In Zusammenarbeit mit Kerina Duri in Simbabwe vergleicht er die beiden Kohorten, um besser zu verstehen, wie sich die Darmflora bei Kleinkindern unter unterschiedlichen Bedingungen entwickelt. Dirk Bumann, Professor für Infektionsbiologie am Biozentrum der Universit?t Basel, erg?nzt das Team, um die Rolle von Pathogenen in der Darmflora zu untersuchen. Solche kommen in verunreinigtem Wasser oder bei mangelnder Hygiene besonders oft vor, k?nnen zu Darminfektionen führen und die Auswirkungen einer Mangelern?hrung noch verst?rken.
?Wir m?chten ein Exzellenzzentrum für die Darmflora-Forschung in Simbabwe aufbauen.?Kerina Duri
In einem n?chsten Schritt will das Forschungsteam das diagnostische Potenzial der Videobakterien in klinischen Studien am Menschen testen. Die regulatorischen Hürden seien aufgrund der eingesetzten Crispr/Cas-Technologie hoch, sagt Platt und sch?tzt, dass erste klinische Tests im Lauf der kommenden fünf Jahre beginnen k?nnten.
Seine Kollegin in Simbabwe, Kerina Duri, hofft, dass die Zusammenarbeit mit der Schweiz auch nach Auslauf des BRCCH-Projekts Ende Jahr weitergehen wird. ?Unser Ziel ist es, ein Exzellenzzentrum für die Darmflora-Forschung in Simbabwe aufzubauen?, sagt sie. Ein Zentrum, von dem Mütter und Kinder nicht nur in Simbabwe, sondern in ganz Afrika profitieren k?nnten. ?Doch um entsprechende Kapazit?ten aufzubauen, sind wir auf externe Finanzierung und auf Kooperationen, wie diejenige mit der ETH Zürich, angewiesen?, sagt Duri.
Basel Research Centre for Child Health
Im vergangenen Jahr unterstützte die Fondation Botnar die Universit?t Basel und die ETH Zürich mit weiteren 50 Millionen Schweizer Franken, um das gemeinsame externe Seite Basel Research Centre for Child Health (BRCCH) auszubauen. Damit k?nnen sechs neue Professuren mit dem Forschungsschwerpunkt p?diatrische digitale Gesundheit eingerichtet werden. Das BRCCH, das sich für die Gesundheit junger Menschen einsetzt, wurde 2019 gegründet. Die Universit?t Basel und die ETH arbeiten im Centre eng mit dem Universit?ts-Kinderspital beider Basel sowie dem Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut zusammen.
?Globe? Vernetzt in Basel
Dieser Text ist in der Ausgabe 24/01 des ETH-????Magazins Globe erschienen.