Antisemitismus in der Geschichte von Raiffeisen?

Im Auftrag der Raiffeisen Schweiz Genossenschaft untersuchten ETH-Forschende die Anf?nge der Raiffeisenbewegung in der Schweiz. Im Fokus standen die Themen Antisemitismus sowie Raiffeisen zur Zeit des Nationalsozialismus.

Archivfoto von einer Bankfiliale der Raiffaisen
Stubenbank an der Landesausstellung 1939 (Quelle: Historisches Archiv Raiffeisen Schweiz Genossenschaft, St. Gallen)

In Kürze

  • Der Raiffeisengründer in Deutschland F.W. Raiffeisen (1818-1888) hatte antisemitische Vorurteile und prangerte insbesondere den angeblichen ?jüdischen Wucher? an. Gleichzeitig distanzierte er sich aber um 1880 deutlich von der damals weit verbreiteten ?Judenhetze?.
  • Auch einzelne Schweizer Raiffeisenvertreter ?usserten sich antisemitisch und übernahmen die Erz?hlung, F. W. Raiffeisen habe die deutschen Bauern von der Ausbeutung durch ?die Juden? befreit.
  • Es fanden sich keine Hinweise auf antisemitische Praktiken im Bankgesch?ft der Schweizer Raiffeisenorganisationen und diese waren auch nicht in die nationalsozialistische Raubwirtschaft verstrickt.

Die Raiffeisen Gruppe in der Schweiz, zu der heute 219 genossenschaftlich organisierte Raiffeisenbanken geh?ren, basiert auf der um 1860 durch F.W. Raiffeisen ins Leben gerufenen genossenschaftlichen Bewegung in Deutschland. Seine Idee von genossenschaftlich organisierten Kreditinstituten, mit welcher er die wirtschaftliche Lage der Landbev?lkerung verbessern wollte, wurde bald schon in weiteren L?ndern Europas übernommen. Auf Initiative des Pfarrers Johann Traber entstand so denn auch um 1900 in Bichelsee TG die erste Raiffeisenkasse der Schweiz. 1902 gründeten zehn Institute den Schweizerischen Raiffeisenverband.

In der Vergangenheit gab es Hinweise auf antisemitische Positionen von F.W. Raiffeisen. Um zu kl?ren, welche Rolle der Antisemitismus in der Geschichte der schweizerischen Raiffeisenbewegung spielte, hat Raiffeisen Schweiz einen Forschungsbericht beim Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich in Auftrag gegeben. Dafür werteten die Forschenden unter anderem unver?ffentlichte Dokumente aus den Quellenbest?nden des historischen Archivs der Raiffeisen Schweiz Genossenschaft in St. Gallen aus, sowie Dokumente aus den Archiven von neun regionalen Raiffeisenbanken und die Nachl?sse und Publikationen wichtiger Raiffeisenakteure. Ausserdem analysierten sie die damaligen Zeitschriften des Schweizerischen Raiffeisenverbands und recherchierten in zahlreichen weiteren Archiven in der Schweiz und in Deutschland.

Die Positionen des Gründers F.W. Raiffeisen

Unter der Leitung von Gregor Spuhler, Leiter des Archivs für Zeitgeschichte der ETH Zürich, schauten sich die Forschenden zun?chst an, wie sich der deutsche Raiffeisengründer F.W. Raiffeisen zu Juden ?usserte. Die insgesamt dünne Quellenlage offenbart ein widersprüchliches Bild: F.W. Raiffeisen bediente sich antisemitischer Ausdrücke und sagte, er habe die Darlehenskassen gegründet, um arme Bauern vom ?jüdischen Wucher? zu befreien. In einem verwaltungsinternen Bericht gab F.W. Raiffeisen zudem zahlreiche antisemitische Stereotype in einer pathologisierenden Sprache wieder – so bezeichnete er Jüdinnen und Juden beispielsweise als potenzielle ?Krebsgeschwüre?. F.W. Raiffeisens ?ffentliche Aussagen stehen allerdings in einem deutlichen Widerspruch dazu. Er sprach sich ?ffentlich explizit gegen die ?Judenhetze? aus, wies darauf hin, dass es auch vorbildhafte Juden gebe, an denen sich die Christen ein Beispiel nehmen sollten, engagierte sich nicht in der antisemitischen Bewegung und forderte keine Einschr?nkung der Rechte der Jüdinnen und Juden.

Die Forschenden kommen zum Schluss: F.W. Raiffeisens Aussagen über die Jüdinnen und Juden enthalten zwar viele antisemitische Vorurteile, offenbaren aber keine konsistente antisemitische Ideologie. Sie widerspiegeln eher die Virulenz und Widersprüchlichkeit der damaligen Diskurse.

Die Raiffeisenbewegung in der Schweiz  

Ab 1902 entstanden in der Schweiz haupts?chlich in l?ndlichen katholischen Gebieten zahlreiche Raiffeisenkassen. Zentrale Akteure waren dabei die katholischen M?nner- und Arbeitervereine. In diesem konfessionellen und sozialpolitischen Milieu waren judenfeindliche Vorurteile weit verbreitet. So ?usserten sich gem?ss dem Forschungsbericht Raiffeisenvertreter punktuell antisemitisch und reproduzierten die Erz?hlung, F. W. Raiffeisen habe die deutschen Bauern von der Ausbeutung durch ?die Juden? befreit.

In der Zwischenkriegszeit rückte die ursprünglich katholisch gepr?gte schweizerische Raiffeisenbewegung n?her zum Schweizerischen Bauernverband.  Die autorit?ren Machtübernahmen in Italien und Deutschland Anfang der 1930er Jahren wurden von Exponenten der Raiffeisenbewegung zun?chst verhalten wohlwollend kommentiert. Besonders gegenüber dem nationalsozialistischen Regime, das die deutsche Raiffeisenbewegung ?gleichschaltete?, ging man aber schnell auf Distanz. Das NS-Regime und auch seine Judenpolitik wurde in der franz?sischsprachigen Verbandszeitschrift bereits 1938 explizit verurteilt, in der deutschsprachigen erst nach Kriegsende. Ein koh?rentes ideologisches Profil oder eine bestimmte politische Programmatik des Schweizerischen Raiffeisenverbands l?sst sich aufgrund der geringen Zahl von politischen Artikeln in den beiden Verbandszeitschriften jedoch nicht herleiten.

Die Forschenden fanden keine Hinweise darauf, dass Antisemitismus in der Gesch?ftst?tigkeit des Schweizerischen Raiffeisenverbandes oder einzelner Kassen eine Rolle gespielt h?tte. Es gab auch keine Anzeichen dafür, dass sich die regionalen Kassen gegen jüdische Viehh?ndler oder Geldverleiher gerichtet h?tten. Die Statuten der Darlehenskassen schlossen Jüdinnen und Juden nicht von den Genossenschaften aus. Im Gegensatz zu vielen anderen Schweizer Banken waren die Raiffeisenkassen und der Verband mit ihrer Beschr?nkung aufs Inlandgesch?ft auch nicht in die nationalsozialistische Raubwirtschaft involviert.

Kontakt

Hochschulkommunikation
ETH Zürich

Schweiz

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert