Wie ein ETH-Alumnus in Sambia Kaffee anbaut

Fasziniert vom Bauernleben

Fridolin Stocker wurde die Landwirtschaft nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater studierte an der ETH Z¨¹rich Physik und arbeitete sp?ter als Patentanwalt, seine Mutter ist ?rztin. Er wuchs in Wil bei St. Gallen auf und verbrachte viele Sommerferien mit Wandern in Graub¨¹nden. ?Ich war immer gerne draussen und habe mich fr¨¹h f¨¹r Bauernh?fe interessiert?, erinnert er sich. Sein Vater bastelte ihm deshalb kleine Heugabeln, damit er Bauer spielen konnte. W?hrend des Gymnasiums in Immensee half Stocker in den Schulferien bei Gelegenheit Landwirten in Graub¨¹nden aus und begann, sich das Bauernhandwerk selbst anzueignen. Als er in der Schule vom ETH-Studium in Agrarwissenschaften erfuhr, erkannte er eine M?glichkeit, seine Leidenschaft f¨¹r die Arbeit auf dem Land und seine St?rke in Mathematik mit dem naheliegenden n?chsten Schritt zu verbinden, dem Beginn eines Studiums. Bald erhielt er eine wegweisende Chance: Ein Bekannter vermittelte ihm einen dreimonatigen Landwirtschaftseinsatz in Sambia. ?Damit begann meine Faszination f¨¹r Afrika, die bis heute anh?lt?, sagt Stocker. ?Ich konnte nicht glauben, dass es dort so viel ungenutztes und fruchtbares Land gibt. Und dies in einer Klimazone, in der ganzj?hrig Lebensmittel angebaut werden k?nnen.?  Aus der Schweiz war er sich gewohnt, dass die Vegetationsperiode je nach H?he zwischen f¨¹nf und acht Monate dauert. Der Zufall wollte es, dass sein Studienkollege Luca Costa gleichzeitig ein Praktikum auf einer Kakao- und Gummifarm an der Elfenbeink¨¹ste absolvierte. Stocker besuchte ihn, und gemeinsam schmiedeten sie erstmals Pl?ne f¨¹r ihre eigene Farm.

Wichtiger Umweg ¨¹ber Laos

Nach Abschluss des Masterstudiums bewarb sich Stocker sogleich auf eine Stelle als Agronom f¨¹r einen internationalen Kaffeeproduzenten in Sambia. Dieser w?hlte eine Mitbewerberin, bot dem ETH-Absolventen aber einen Job in Laos an. Er sagte zu und arbeitete zwei Jahre als ?plantation agronomist? in Pakxong, im S¨¹den des Landes. Dort erarbeitete er D¨¹ngungs- und Bew?sserungspl?ne sowie Produktionsstandards f¨¹r mehr als 1200 Hektaren Kaffee. ?Ich arbeitete in einem Team mit Agronomen aus Asien, Afrika, S¨¹damerika und Europa. Das war beruflich eine enorm lehrreiche und bereichernde Zeit?, res¨¹miert Stocker. Er vertiefte sich in Literaturrecherchen, um neue Ideen zu finden, wie die Effizienz im Kaffeeanbau in Laos gesteigert werden kann. Gleichzeitig verfolgte er statistisch, wie sich verschiedene landwirtschaftliche Massnahmen auf die Produktivit?t auswirkten. ?Es waren Arbeiten, die direkt an das ankn¨¹pften, was ich w?hrend des ETH-Studiums gelernt hatte.?

Nach zwei Jahren wurde Stocker nach Tansania bef?rdert, wo er auch f¨¹r Kaffeefarmen in Sambia zust?ndig war. In Sambia hatten er und Luca Costa drei Jahre zuvor ein St¨¹ck Land entdeckt, auf dem sie ihren Traum von der eigenen Kaffeefarm realisieren wollten. ?Es war Liebe auf den ersten Blick?, erinnert sich Stocker. ?Das Grundst¨¹ck umfasst viel Trockenwald und einen Teil des Mount Sunzu, des h?chsten Bergs von Sambia. Das hat mir als Schweizer sofort imponiert.? 2019 hatten sie das Startkapital zusammen. Ein Pachtvertrag ¨¹ber 99 Jahre f¨¹r 780 Hektaren Land wurde unterzeichnet. Das Land war seit den 1990er-Jahren nicht mehr landwirtschaftlich genutzt worden und verbuschte zunehmend. Um das Land zug?nglich und nutzbar zu machen, mussten zuerst eine Zugangsstrasse und eine Br¨¹cke gebaut sowie eine acht Kilometer lange Hochspannungsleitung gezogen werden.

Ende 2020 k¨¹ndigte Stocker seinen Job beim internationalen Kaffeegrossh?ndler und zog aufs neu erworbene Land, in ein verfallenes Steinhaus, das er zuerst renovieren musste. Als Erstes eta?blierte er eine Baumschule mit 400?000 Kaffeesetzlingen. Mount Sunzu Coffee setzte von Beginn an unter anderem auf eine Hybridsorte eines franz?sischen Z¨¹chters. ?Sie hat das typische Aroma des autochthonen Arabica aus ?thiopien, ist aber gleichzeitig ertragreicher als die urspr¨¹ngliche Sorte.? Ein weiterer Vorteil sei die hohe Resistenz gegen Pilzkrankheiten und Sch?dlinge. Laut Stocker ist Mount Sunzu Coffee der erste Produzent, der die neue Sorte im grossen Massstab einsetzt. ?Das birgt zwar ein Risiko, doch ich bin ¨¹berzeugt, dass sich im Kaffeeanbau in den kommenden Jahren viel ver?ndern wird, weil der Druck auf herk?mmliche Sorten durch den Klimawandel zunimmt.?

Globales Wissen f¨¹r lokale Farm

Seit dem Landkauf widmet sich Stocker t?glich der Optimierung der Ressourceneffizienz auf seiner Farm. Daf¨¹r nutzt er all sein Wissen, das er sich in den vergangenen vierzehn Jahren Studium und Praxis angeeignet hat. Das zeigt sich im Wassermanagement, bei der D¨¹ngung und dem Einsatz von Pestiziden. ?Bei der Bew?sserung sparen wir dreissig Prozent Wasser durch Nutzung eines sparsamen Systems mit punktueller Bew?sserung entlang der Pflanzreihen.? Das entsprechende System wurde in Brasilien entwickelt, Stocker betreibt es mit einer eigenen Photovoltaikanlage. N?hrstoffe f¨¹r die Pflanzen werden dem Wasser beigemischt und dadurch ?fter, aber in geringeren Mengen ausgebracht. Dies f¨¹hrt zu einer erh?hten D¨¹ngemittelverwertung und reduzierten Stickstoffemissionen. Er ist ¨¹berzeugt, dass sich Nachhaltigkeit auch finanziell rechnet: W?hrend Kosten f¨¹r synthetische Pestizide und D¨¹nger eingespart werden, verbessert sich die Bodenqualit?t, was wiederum zu h?heren Ertr?gen f¨¹hrt.

Stocker ist heute der einzige Gr¨¹nder, der permanent auf der Farm in Sambia lebt. Luca Costa, der sich um Vermarktung und Verkauf k¨¹mmert, verbringt die H?lfte der Zeit in der Schweiz. Yanik Costa, dessen Bruder und dritter Gesch?ftsinhaber, managt Finanzen und Administration vollst?ndig von der Schweiz aus. Obschon er oft allein ist, hat Stocker selten Heimweh. Zu viele M?glichkeiten biete ihm das Gastland. Wenn er manchmal etwas vermisse, dann sei es ein St¨¹ck Schweizer Alpk?se und der Austausch mit Berufskolleginnen und -kollegen. So wie damals bei seinem fr¨¹heren Arbeitgeber oder w?hrend des Studiums in Z¨¹rich. Hin und wieder fliegt er deshalb an eine Konferenz, um sich dort mit Expertinnen und Experten aus aller Welt auszutauschen und sich im neusten Agrarwissen zu baden.