Mit Kupfer und Grips das Schweizer Stromnetz stärken

Eine sichere Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien kann nur gelingen, wenn wir auch die Netzinfrastruktur auf Vordermann bringen. Am Energy Science Center (ESC) suchen ETH-Forschende nach smarten Wegen, um das Stromnetz auch ohne teuren Ausbau für die Energiewende fit zu machen.

Monteure, welche sich auf einem Strommasten befinden
Auch das ?bertragungsnetz wird laufend erg?nzt und erneuert. Montage eines Strommasten für eine 220-kV-Freileitung von Swissgrid bei Sion (2017). (Bild: Valentin Lauraud / Keystone)

In Kürze

  • Unser Stromnetz ist schon heute stark, muss aber noch st?rker und schlauer werden, damit es die Erneuerbaren einbinden kann.
  • Die sich dezentral verbreitende Fotovoltaik gilt als wichtigster Treiber des Netzausbaus.
  • Es braucht sowohl Investitionen in den physischen Netzausbau als auch in neue Konzepte zur Steuerung des Stromsystems.

Die Schweiz hat in den vergangenen Monaten wichtige energiepolitische Weichen gestellt. Seitdem das Stimmvolk im Sommer 2023 mit dem Klimaschutzgesetz die Abkehr von fossilen Energietr?gern deutlich angenommen und dieses Jahr auch das Stromgesetz für den raschen Ausbau erneuerbarer Energien klar best?tigt haben, ist das Netto-Null-Ziel nun auch gesetzlich verankert: Die Schweiz soll bis sp?testens 2050 keine zus?tzlichen Treibhausgase mehr verursachen.

Dazu muss sie Verkehr und Heizungen elektrifizieren, den Ausstieg aus der Kernkraft kompensieren und den steigenden Strombedarf mit Wasserkraft, Fotovoltaik und Windkraft decken. Die Energiezukunft wird also auch hierzulande klimaneutral, erneuerbar und elektrisch sein.

Keine Energiewende ohne starkes Stromnetz

Setzt die Schweiz vermehrt auf Fotovoltaik und Wind, muss das Netz die schwankende Produktion der Erneuerbaren zu jedem Zeitpunkt ausgleichen und auf die Nachfrage abstimmen. Dafür sind die bestehenden Netze aber noch nicht optimal ausgelegt. Fehlende Netzkapazit?ten führen sonst rasch zu Engp?ssen.

?Deshalb müssen unserer Netze mit dem Zuwachs der Erneuerbaren aus- und umgebaut werden?, sagt Christian Schaffner, Leiter des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich. Ohne ein starkes und flexibles Netz l?sst sich Strom aus Erneuerbaren nicht effizient einbinden. ?Das macht einen Aus- und Umbau des Stromnetzes unumg?nglich?, h?lt Schaffner fest.

Wie gut ist also das Schweizer Stromnetz für die Energiewende gewappnet? Die Frage geht zun?chst an Gabriela Hug. Sie ist Professorin für elektrische Energiesysteme an der ETH Zürich und steht dem Energy Science Center (ESC) vor. ?Hier müssen wir zwischen dem ?bertragungsnetz und den Verteilnetzen in der Schweiz unterscheiden?, sagt Hug.

Gut vernetzt mit Nachbarn

Als Transitland für Strom besitzt die Schweiz ein starkes ?bertragungsnetz, für das Swissgrid zust?ndig ist. Auf dieser h?chsten Netzebene mit den H?chstspannungsleitungen ist das Land sehr gut mit den Nachbarl?ndern vernetzt und in den europ?ischen Handel eingebunden. Mit den geplanten Spannungserh?hungen werden kritische Leitungen gest?rkt.

Etwa zwei Drittel des insgesamt 6700 Kilometer umfassenden ?bertragungsnetzes sind heute zwischen 50 und 80 Jahre alt und müssen in den kommenden Jahren ersetzt werden.

Handlungsbedarf verortet Hug aber vor allem in den unteren Netzebenen. ?Dezentral produzierter Sonnenstrom vom Hausdach und das Elektromobil in der Garage beanspruchen vor allem die lokalen Niederspannungsnetze?, sagt die Stromnetz-Spezialistin.

Energy Week @ETH 2024

Flyer für die Energy Week 2024 vom 4-8. November

Die Zukunft des Schweizer Stromnetzes ist auch Thema an der Energy Week @ ETH: Der Grossevent des Energy Science Center (ESC) findet vom 4. bis 8. November 2024 an der ETH Zürich statt – mit Fokusdialogen, Symposium und einer Ausstellung zum Energiesystem von morgen. Anmeldeschluss ist am 31. Oktober.

Hier geht’s zum Programm oder direkt zur Anmeldung

?Unsere Analysen von mehr als 60 Versorgungsgebieten haben gezeigt, dass im Aus- und Umbau des Verteilnetzes am meisten Handlungsbedarf besteht, allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmass?, best?tigt Demiray. Das hange mitunter von der Typologie der Netze ab, also ob sie st?dtische, l?ndliche oder Peri-urbane Gebiete abdecken, aber auch vom individuellen Ausbaustandard, was pauschale Aussagen erschwere.

Die Energiewende findet im Verteilnetz statt

Die meisten Fotovoltaikanlagen und W?rmepumpen sowie alle Elektroautos werden auf den untersten Netzebenen betrieben, dem Niederspannungs- oder Verteilnetz (220 bis 400 V). Nur: Diese Netze wurden nicht für eine dynamisch-dezentrale Strom-Einspeisung ausgelegt.

Dennoch verbinden Verteilnetze nun immer ?fter Erzeugungsanlagen mit leistungsstarken Verbrauchern und speisen immer gr?ssere Stromflüsse ein und aus. Wird viel Fotovoltaikstrom erzeugt, kommt es lokal zu ?berspannung, w?hrend ein h?herer Lastverbrauch durch W?rmepumpen und Elektroautos zu Unterspannung führt. In beiden F?llen k?nnen lokale ?berlastungen im Netz entstehen. Und das kostet.

Das Problem kennt Turhan Hilmi Demiray nur zu gut. Er leitet die Forschungsstelle Energienetze (FEN), die sich am ESC dezidiert mit Fragestellungen aus dem hiesigen Energiesektor befasst. Diesen Sommer hat Demiray für den Verband Schweizerischer Elektrizit?tsunternehmen eine Studie zum Aus- und Umbaubedarf der Verteilnetze mitverfasst.

Flexibilit?t vermeidet Netzausbau

?Wir haben zurzeit sehr viele Projekte mit Verteilnetzbetreibern. Und alle wollen wissen, wie sie ihre Netze kosteneffizient für die Zukunft planen sollen?, sagt Demiray. Es gibt zwei Ans?tze zur Netzverst?rkung: Kupfer und Grips.

Kupfer steht für den traditionellen Netzausbau: Wie früher neue Leitungen in den Boden legen, Verkabelung und Transformatoren verst?rken. Das ist teuer, aber effektiv und manchmal unumg?nglich. Netzbetreiber orientieren sich oft an der maximalen Last und überdimensionieren physischen Projekte – das verteuert den Netzausbau zus?tzlich.

Grips steht für Intelligenz und Flexibilit?ten: Hier spielen Digitalisierung und smarte Konzepte zur Steuerung der Stromflüsse eine entscheidende Rolle. Begrenzte Einspeisung der Fotovoltaik und reduzierte Lastspitzen von W?rmepumpen und Elektrofahrzeugen kombiniert mit netzdienlichen Heimbatterien sorgen für Flexibilit?t. Das stabilisiert das Stromnetz und senkt die Ausbaukosten substanziell.

Begehrte Quellen für Flexibilit?t

Das Prinzip gilt jedoch für das gesamte Stromnetz: Wenn die Produktion hier typischerweise von minütlich bis saisonal schwankt, muss das Netz entsprechend auf diesen Zeitskalen flexibler werden.

Demiray führt aus: ?Batterien, Pumpspeicher, alpine Speicherseen und saisonale W?rmespeicher für den Winter sind dann ideale Ausgleichsmittel. Aber auch Smart-Grid-Ans?tze für intelligente Netz- und Verbrauchssteuerung und eine volle Integration der Schweiz in den europ?ischen Strommarkt sind essenzielle Ressourcen, die entlasten?, sagt der Stromnetz-Spezialist.

In einer viel beachteten Studie im Auftrag des Bundes untersuchte die Forschungsstelle Energienetze 2022 die Versorgungssicherheit im Strombereich in der Schweiz und Europa. Die Analyse zeigte, dass für die Schweizer Versorgungssicherheit drei Aspekte entscheidend sind: Die flexible Stromproduktion der Wasserkraft, der Stromhandel (Import im Winter), sowie das sehr gut integrierte Stromnetz mit Europa. ?Das sind sehr wertvolle Flexibilit?tsquellen?, sagt Demiray.

Im BFE-F?rderprojekt externe Seite Sweet-Pathfindr suchen ETH-Forschende des ESC gemeinsam mit Versorgungsunternehmen und Gemeinden nach Wegen, um Flexibilit?tsoptionen, Digitalisierung und Sektorkoppelung optimal zu nutzen.

In diesem Rahmen gehen sie beispielsweise auch der Frage nach, inwiefern die E-Mobilit?t zur Flexibilit?t des Schweizer Stromnetzes beitragen k?nnte – etwa, wenn E-Autos dann geladen werden, wenn ausreichend Strom vorhanden ist. Dynamische Strompreise k?nnten helfen, die richtigen Anreize zu setzen.

Das Stromnetz braucht beides: Kupfer und Grips

Demiray fasst zusammen: ?Je smarter und flexibler das Stromnetz, desto besser kann es Spitzen aus Sonne, Wasser und Wind auszubalancieren, und desto weniger physischen Netzausbau braucht es.?

Ganz ersetzen kann man den Ausbau aber nicht. ?Selbst wenn wir alle Flexibilit?ten nutzen, wird es immer Ausbaubedarf geben?, h?lt Hug schmunzelnd fest.

?Das Schweizer Stromnetz an sich ist gut geeignet für die Zukunft. Aber es braucht Investitionen sowohl in den physischen Netzausbau als auch in neue Konzepte zur Steuerung?, schliesst Schaffner. Kupfer und Grips – beides ist wichtig.

Serie ?Energiel?sungen für die Schweiz?

Die Schweiz soll bis 2050 ihre Treibhausgasemissionen auf Netto-Null reduzieren. Dies erfordert eine fossilfreie Energieversorgung, die auf erneuerbaren und nachhaltigen Energiequellen beruht – eine enorme Herausforderung für das Land. Die ETH Zürich mit seinem Energy Science Center unterstützt die Energiewende in der Schweiz mit konkreten L?sungen aus den Bereichen Forschung, Lehre und Wissenstransfer. 

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Erfahren Sie mehr zum Thema ?Energie? an der ETH Zürich.

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