Bislang unbekannte Verbindung in chloraminiertem Trinkwasser identifiziert
Seit den 80ern ist bekannt, dass sich in chloraminiertem Trinkwasser eine mysteri?se Verunreinigung bildet – doch erst jetzt konnte ein Schweiz-Amerikanisches Forschungsteam das unbekannte Produkt in US-Trinkwasseranlagen identifizieren.
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In Kürze
- Forschende haben eine potenziell toxische Verbindung identifiziert – ein Abbauprodukt einer Chemikalie, die in einigen L?ndern zur Desinfektion von Trinkwasser verwendet wird.
- Die Identifizierung der Verbindung erforderte ein umfassenderes Verst?ndnis der Chemie und bessere analytische Instrumente.
- Weitere Studien sind erforderlich, um das Risiko für die ?ffentliche Gesundheit zu bewerten.
Ein Forscherteam aus den USA und der Schweiz hat eine bisher unbekannte Verbindung in chloraminiertem Trinkwasser entdeckt. Anorganische Chloramine werden h?ufig zur Desinfektion von Trinkwasser eingesetzt, um die ?ffentliche Gesundheit vor Krankheiten wie Cholera und Typhus zu schützen. Sch?tzungen zufolge trinken allein in den USA mehr als 113 Millionen Menschen chloraminiertes Wasser.
Die Forschenden haben nun das Chlornitramid-Anion (chemisch ausgedrückt als Cl–N–NO2?) als Endprodukt der Zersetzung von anorganischem Chloramin identifiziert. Derzeit ist nicht bekannt, ob und wie giftig das Chlornitramid-Anion ist. Seine Verbreitung und ?hnlichkeit mit anderen toxischen Verbindungen gibt den Forschenden Anlass zur Sorge. Es brauche nun weitere Untersuchungen, um das Risiko für die ?ffentliche Gesundheit zu bewerten.
Allein die Identifizierung der Substanz sei ein Durchbruch, schreiben die Autoren in ihrem in externe Seite Science ver?ffentlichten Paper. ?Die Verbindung ist seit den frühen 1980er Jahren dafür bekannt, dass sie sich in chloraminiertem Trinkwasser bildet; sp?tere Studien in den 1990er Jahren versuchten, ihre Struktur zu bestimmen, scheiterten jedoch am unvollst?ndigen Verst?ndnis der Chloramin-Zersetzung sowie an limitierten analytischen Instrumenten?, bemerkt Kristopher McNeill, Professor für Umweltchemie an der ETH Zürich und einer der Hauptautoren der Studie.
Sein Kollege Julian Fairey, ausserordentlicher Professor für Bauingenieurwesen an der University of Arkansas, fügt hinzu: ?Es handelt sich um eine sehr stabile Chemikalie mit einem niedrigen Molekulargewicht, die sehr schwer zu finden ist. Das Schwierigste war, sie zu identifizieren und zu beweisen, dass es sich um die Struktur handelt, von der wir sagten, dass sie es ist?. Fairey selbst begann vor zehn Jahren, das R?tsel zu l?sen.
Dazu geh?rte auch, die Verbindung in seinem Labor zu synthetisieren, was noch nie zuvor gelang. Die Proben wurden dann zur Analyse an seine Kollegin und Mitautorin, Juliana Laszakovits, geschickt. Laszakovits ist Postdoktorandin im Labor von McNeill an der ETH Zürich. Im Jahr 2022 besuchte Fairey im Rahmen seines Sabbaticals die ETH Zürich, wo er mit Laszakovits und McNeill an dieser Studie arbeitete.
?Chloraminiertes Trinkwasser ist in Nordamerika weit verbreitet, aber in der Schweiz wird Chloraminierung nicht wirklich praktiziert, und in Schweizer Gew?ssern gibt es kein Chlornitramid-Anion?, sagt Laszakovits. McNeill erg?nzt: ?Das erlaubte es uns, Schweizer Leitungswasser als Kontrolle in der Studie zu verwenden.?
Die aktuelle Studie konzentrierte sich auf Wassersysteme in den USA. Allerdings verwenden auch Italien, Frankreich, Kanada und andere L?nder Chloraminierung und k?nnten laut McNeill ebenfalls betroffen sein.
Toxizit?t ist derzeit nicht bekannt
Die Gesundheitsrisiken der neuen Verbindung konnten bisher noch nicht untersucht werden. Fairey, der die Chemie von Trinkwasserdesinfektionsmitteln studiert, erkl?rt: ?Es ist allgemein bekannt, dass bei der Desinfektion von Trinkwasser eine gewisse Toxizit?t entsteht. Eigentlich handelt es sich um eine chronische Toxizit?t. Eine bestimmte Anzahl von Menschen kann durch das Trinken von Wasser über mehrere Jahrzehnte an Krebs erkranken. Wir haben jedoch noch nicht herausgefunden, welche Chemikalien diese Toxizit?t verursachen.?
Dass man nun die Identit?t der Verbindung kennt, ist ein wichtiger Schritt in diesem Prozess. Dank der Entdeckung sind nun Toxizit?tsstudien m?glich. Ob das Chlornitramid-Anion mit Krebserkrankungen in Verbindung steht oder ob es andere Gesundheitsrisiken birgt, werden Wissenschaftler:innen und Aufsichtsbeh?rden nun untersuchen.
Literaturhinweis
Farey J L et al. Chloronitramide anion is a decomposition product of inorganic chloramines. Science (2024), DOI: externe Seite 10.1126/science.adk6749