«Wir sollten das Thema Schlaf gelassener angehen»
Schlafst?rungen sind zu einem Volksleiden geworden. Was tun (und was nicht), wenn der Schlaf nicht kommen will, beschreibt die ETH-Schlafforscherin Caroline Lustenberger in einem neuen popul?rwissenschaftlichen Buch – und im Interview mit ETH-News.
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In Kürze
- Ein Drittel der Schweizer Bev?lkerung gibt an, unter mittleren bis schweren Schlafproblemen zu leiden. Die Zahl der Betroffenen steigt seit 2012.
- Die Schlafforscherinnen Caroline Lustenberger und Salome Kurth haben deshalb einen laiengerechten Ratgeber geschrieben, der Missverst?ndnisse kl?rt und neue wissenschaftliche Erkenntnisse umfasst.
- Das Buch soll Menschen den Druck nehmen, jede Nacht den perfekten Schlaf zu suchen.
- Es zeigt, dass Schlaf individuell sehr verschieden ist.
ETH-News: H?rt man sich um, beklagt sich fast jeder und jede über Schlafprobleme. Ist das wirklich ein so grosses Problem oder jammern wir einfach gerne?
Caroline Lustenberger: Wenn ich Schlafprobleme als Gejammer abtun würde, müssten wir dieses Interview nicht führen (lacht). Ich halte es für ein Problem, weil mit Schlafst?rungen ein hoher Leidensdruck verbunden ist. Schlaf ist essenziell für uns. Und mehr als ein Drittel der Schweizer Bev?lkerung gibt in Umfragen an, mittlere bis schwere Schlafst?rungen zu haben.
Sind diese Probleme h?ufiger geworden?
Seit 2012 nehmen Schlafst?rungen stark zu. Der Bund erhebt die Zahlen mit Umfragen alle fünf Jahre. Seit Beginn der Erhebung im Jahr 1997 waren die Zahlen noch nie so hoch wie in der aktuellen Statistik. Seit der letzten Erhebung 2017 sind nun nochmals einige Prozent dazugekommen, vor allem bei jungen Leuten und Frauen generell.
Um welche Schlafst?rungen geht es da?
Die h?ufigsten in unserer Gesellschaft sind Insomnie, Schlafapnoe, und das Restless Leg Syndrom. Insomnie, im Volksmund auch als Schlaflosigkeit bezeichnet, beinhaltet Probleme beim Ein- und Durchschlafen, was sehr oft mit viel Stress im Alltag zusammenh?ngt. Die Schlaf-Apnoe, gekennzeichnet durch Atemaussetzer w?hrend des Schlafes, h?ngt oft mit dem Lebensstil zusammen und wird durch Faktoren wie ?bergewicht begünstigt. Einige haben auch das Restless-Legs-Syndrom: Betroffene haben einen unangenehmen Bewegungsdrang in den Beinen und kommen deshalb nicht zur Ruhe. Für all diese F?lle braucht es unterschiedliche Herangehensweisen oder Therapien. Bei der Schlafapnoe kommen meist spezielle Atemmaschinen zum Einsatz, auch eine Anpassung des Lebensstils wie eine Gewichtsreduktion kann sehr hilfreich sein. Bei Insomnie ist oft eine kognitive Verhaltenstherapie die Behandlung erster Wahl. Die meisten, die sich Hilfe holen und eine L?sung finden, gewinnen dadurch viel Lebensqualit?t zurück.
Zur Person
PD Dr. Caroline Lustenberger ist Neurowissenschaftlerin und Dozentin an der ETH Zürich. Sie hat langj?hrige Erfahrung in der Schlafforschung und untersucht, wie die Gehirnaktivit?t im Schlaf die Gesundheit beeinflusst.
Wie erkl?ren Sie sich die steigenden Fallzahlen?
Schlafst?rungen haben vielf?ltige Ursachen. Zentrale Punkte, die in den letzten Jahrzehnten verst?rkt zutage treten, sind die st?ndige Leistungsbereitschaft, die mangelnde Abgrenzung und die Auswirkungen der Digitalisierung. So verschmilzt für viele der Arbeitstag mit dem Privatleben, und klare Trennungen wie ein echter Feierabend gehen verloren. Stress und Druck gelten als gr?sste Feinde eines guten Schlafes. Belastende Ereignisse wie Kriege, die Corona-Pandemie oder Unsicherheiten bezüglich der Zukunft verst?rken diesen Zustand. Das Gedankenkarussell dreht sich bei vielen von uns, sobald wir im Bett liegen. Das macht es schwer, loszulassen. Die Menschen verbleiben in einem Modus der ?bererregung, der inneren Anspannung und des Dauerstresses. Auch ?bergewicht und ein zunehmend tr?ger Lebensstil werden immer h?ufiger und tragen dazu bei, dass vermehrt Schlafst?rungen auftreten.
Sie haben soeben mit ihrer Kollegin Salome Kurth von der Universit?t Freiburg einen popul?ren Schlafratgeber geschrieben. Was hat Sie dazu motiviert?
Einerseits wollten wir Irrtümer rund um das Thema Schlaf aufkl?ren, andererseits neue wissenschaftliche Erkenntnisse zusammenfassen. Wir wollten aber durch diese Aufkl?rung des Wissensstandes die Leute auch vom Druck befreien, perfekt schlafen zu müssen, um nicht krank zu werden. Bei unseren Recherchen zum Buch haben wir immer wieder gemerkt, dass ein grosses Wissensangebot betont, wie wichtig Schlaf ist und dass man ohne genügend Schlaf krank wird. Das stimmt auf lange Sicht zwar schon. Aber ich glaube auch, dass dadurch sehr viel Druck aufgebaut wird, n?mlich dass die Leute Angst davor haben, schlecht zu schlafen oder eben nicht ?perfekt? zu schlafen, was paradoxerweise selbst Schlafprobleme hervorrufen kann.
Und Ihr Buch gibt Gegensteuer.
Genau. In unserem Buch zeigen wir, wie individuell Schlaf ist. Auch das Altern ver?ndert den Schlaf: Je ?lter man wird, desto weniger tief wird der Schlaf und desto h?ufiger wacht man nachts auf. Einige dieser Faktoren kann man nicht beeinflussen. Das ist Teil der Biologie. Wichtig ist hier, eine gewisse Gelassenheit zu kultivieren. Kurzzeitige Schlafprobleme kommen h?ufig vor und sind relativ unproblematisch. Unser K?rper hat die bemerkenswerte F?higkeit, sich zu einem gewissen Grad selbst zu regulieren. Wir m?chten, dass die Leser:innen dies annehmen k?nnen und dadurch gelassener werden dürfen. Wir betonen aber auch, dass es Faktoren gibt, die man selbst beeinflussen kann, um den eigenen Schlaf zu verbessern, und das Buch hilft, selbst zu verstehen, welche diese Einflussfaktoren sind, über die wir Kontrolle haben.
Welche Faktoren meinen Sie?
Auch da gibt es zahlreiche, aber beispielsweise ein entspannter Umgang und die Bereitschaft, loszulassen, sind oftmals der Schlüssel für leichtere Schlafprobleme. Bei l?nger anhaltenden und schwerwiegenden Problemen sollte man professionelle Unterstützung suchen.
Welches Licht hilft, um besser Schlafen zu k?nnen?
Ideal ist helles Licht am Tag und beim Aufstehen. Man kommt schneller in die G?nge, wenn man sich am Morgen hellem Licht aussetzt. Am Abend sollte man gedimmtes oder warmes Licht verwenden und helle Bildschirme oder grelle Lampen vermeiden. Allerdings gibt es bei der Lichtsensitivit?t grosse individuelle Unterschiede, und es gibt Leute, die bei hellstem Licht einschlafen k?nnen. Muss man in der Nacht kurzzeitig aufstehen, sollte man kein helles Licht anschalten. Ich empfehle dann kleine LED-Kerzen, die warmes Licht abgeben.
Welche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Schlaf sind in Ihr Buch eingeflossen?
Eines der neuen Themen ist, wie Menschen den eigenen Schlaf wahrnehmen. Die Forschung zeigt, dass Schlafst?rungen sehr viel damit zu tun haben, wie man über den eigenen Schlaf denkt und wie man dazu eingestellt ist. Weitere Themen sind die Digitalisierung und auch das damit verbundene Schlaftracking. Schlaftracker k?nnen Menschen entlasten, die sich über ihren Schlaf zu viele Sorgen machen, indem diese oftmals zeigen, dass sie mehr Schlaf bekommen, als sie glauben. Doch die Rolle dieser Ger?te ist ambivalent: Entscheidend ist, dass sie keinen zus?tzlichen Druck erzeugen, da die Genauigkeit und Zuverl?ssigkeit der Ger?te und Messungen stark variieren. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und Stress verst?rken. Probleme entstehen, die ohne die Ger?te gar nicht existiert h?tten. Immer mehr Menschen entwickeln sogar eine Fixierung auf perfekten Schlaf, bekannt als Orthosomnie. Deshalb ist es wichtig, den Ergebnissen der Tracker mit gesunder Skepsis zu begegnen und sich nicht vollst?ndig von ihnen bestimmen zu lassen.
Was am Schlaf ist bis jetzt nur wenig erforscht?
Sehr viele Fragen um den Schlaf sind noch unbeantwortet. Es ist beispielsweise nicht restlos gekl?rt, welche Funktionen Schlaf alles hat und welche Aspekte des Schlafs welche spezifischen K?rperfunktionen unterstützen. Schlaf ist kein uniformer Prozess; verschiedene Stadien, charakterisiert durch unterschiedliche Gehirnwellen, wechseln sich ab. In unserer Forschung wollen wir die Merkmale und Funktionen dieser Stadien besser verstehen. Und wir m?chten herausfinden, wie Schlaf mit verschiedenen Krankheiten zusammenh?ngt. So gibt es Hinweise darauf, dass Schlaf mit Herzkreislauf-, Immunerkrankungen oder Alzheimer zusammenh?ngt. Interessant sind auch neue Forschungsergebnisse, die zeigen: Schlaf spielt sich unterschiedlich in einzelnen Hirnarealen ab. Wenn wir schlafen, ist also nicht das ganze Hirn gleich tief am Schlafen. Warum einige Hirnregionen tiefer schlafen als andere, wird zurzeit untersucht. Jedes weitere Wissen kann uns helfen, Methoden zu entwickeln, um den Schlaf besser zu verstehen, zu verbessern und bei Abweichungen zu normalisieren – und damit langfristig die Gesundheit zu f?rdern.
Welche der Tipps und Tricks aus Ihrem Buch wenden Sie an, wenn Sie nicht einschlafen oder schlecht schlafen?
Für mich ist ganz klar: Guter Schlaf beginnt bereits tagsüber und ich versuche meinen Tag so zu gestalten, dass ich nachts besser schlafen kann (z.B. Bewegung, viel Licht tagsüber, Abschalten am Abend). Zudem ist vielen wahrscheinlich nicht so bewusst, dass die Regulation der K?pertemperatur das Ein-und Durchschlafen stark beeinflusst. Wichtig ist also, dass man warme H?nde und Füsse hat und dass die K?rperkerntemperatur sinken kann, um das Einschlafen hervorzurufen. Habe ich kalte H?nde und Füsse, hilft vor dem Zubettgehen eine warme Dusche.
Schlafe ich schlecht, komme ich ins Grübeln, die gleichen Gedanken kreisen. Was raten Sie mir?
In solchen F?llen k?nnen Sie versuchen, die Gedanken aktiv loszulassen. Ich zum Beispiel stelle mir vor, jeden einzelnen Gedanken in einen Luftballon zu packen und davonfliegen zu lassen. Mir hilft manchmal auch, alle negativen Gedanken vor dem Schlafengehen aufzuschreiben. Dann sage ich mir: Ich habe genug darüber nachgedacht, ich kann morgen wieder daran denken. Wenn mich etwas belastet, dann lenke ich meinen Fokus auf positive Dinge und z?hle bewusst die Sachen auf, die gut waren und für die ich dankbar bin. Dann küre ich für mich das Beste. Atemübungen k?nnen ebenfalls helfen. Ich muss einfach etwas Eint?niges machen, was mich nicht aufkratzt. Zudem vertraue ich darauf, dass sich der Schlaf selbst reguliert. Schlafe ich in der einen Nacht schlecht, freue ich mich auf die n?chste, weil ich weiss, dass ich dann tiefer und fester schlafen werde, weil der Schlafdruck h?her ist.