Wie Shangri-Las entstehen

Mit einer neuen Simulation verkürzen Geologen die Jahrmillionen dauernde Erdgeschichte massiv. Damit stellen sie bisherige Erkl?rungsans?tze für die Entstehung von Hocht?lern im süd?stlichsten Zipfel des tibetischen Hochlandes auf den Kopf.

Vergr?sserte Ansicht: Das Bergland Yunnans, China, wird geprägt durch die drei mächtigen Ströme Jangtse (im Bild), Mekong und Saluen. Durch Plattenverschiebungen hervorgerufene Verwerfungen führten dazu, dass sich die Flussläufe stark änderten, was die Landschaft prägte. (Bild: Wikimedia Commons)
Die drei Str?me Jangtse (im Bild), Mekong und Saluen pr?gen das Bergland Yunnans. Plattenverschiebungen führten zu Verwerfungen, die ihrerseits Flussl?ufe ver?nderten. Dies führte zur Bildung von Hochl?ndern. (Bild: Wikimedia Commons)

Der süd?stlichste Teil des tibetischen Hochlandes ist eine aussergew?hnliche Gebirgslandschaft. So reichen hohe Gipfel schroff und steil auf über 7000 Meter H?he. Grosse Flüsse, darunter Jangtse, Mekong und Saluen, haben sich tief ins Grundgestein eingefressen. Doch daneben liegen eingebettet zwischen Bergk?mmen fast schon liebliche Hocht?ler mit sanften Hügeln, grossen Seen und m?andrierenden Flüssen. Diese Landschaften inspirierten James Hilton zu seinem geheimnisvollen Shangri-La, einem paradiesischen und friedvollen Ort, den er mit seinem Roman ?Lost Horizons? in den K?pfen der westlichen Welt verankerte.

Etwas weniger romantisch betrachten Erdwissenschaftler die Region. Für sie ist diese vor allem geologisch ?usserst interessant und sie m?chten herausfinden, wie Hocht?ler von der Auspr?gung von Shangri-La entstanden sind.

Hebung von Flachland fraglich

Vergr?sserte Ansicht: Kartenausschnitt Lage Untersuchungsgebiet
Lage des Untersuchungsgebiets im süd?stlichen Teil des tibetischen Hochlandes und der chinesischen Provinz Yunnan.

Bisher ging man davon aus, dass diese Hocht?ler Reliktlandschaften sind, entstanden in den Tiefebenen, die dem Himalaja buchst?blich zu Füssen liegen. Erst die Kollision der indischen mit der asiatischen Platte und die damit einhergehende Anhebung des tibetischen Plateaus sorgte dafür, dass Teile des Flachlandes angehoben wurden und auf ihr heutiges Niveau zwischen 2000 und 5000 Meter über Meer zu liegen kamen. Dort soll ihre landschaftliche Charakteristik erhalten geblieben sein.

Geologinnen und Geologen der ETH Zürich haben nun mithilfe eines neuen Modells die Bildung dieser Hocht?ler auf dem Computer simuliert; die Simulationen sind eine Art Zeitraffer, um die geologischen Vorg?nge der letzten 50 Millionen Jahre nachzuvollziehen. Damit kommen sie zu einer ganz anderen Schlussfolgerung, wie sie in einer soeben in der Fachzeitschrift ?Nature? vorgestellten Studie aufzeigen.

Verwerfungen unterbrechen Gew?ssernetz

In ihrer Simulation konnten sie n?mlich das Anheben der Tieflandes ins Hochland nicht nachzeichnen. Sie zeigten hingegen auf, dass die sanften Hocht?ler an Ort und Stelle – in situ – entstanden sein müssen, und zwar aufgrund von Unterbrechungen von Teilen des Fliessgew?ssernetzes wegen tektonischen Bewegungen.

Vergr?sserte Ansicht: Videostill aus Yang et al., 2015
Das Videostandbild aus der Simulation zeigt, wo Deformationen Fliessgew?sser so ver?ndern, dass sich die Erosion verlangsamt (blau) und Hocht?ler entstehen. Starke Erosion (rot) führt dazu, dass sich Flüsse tief in den Untergrund hineinfressen. (aus Yang et al., 2015)

In dieser Simulation (und abgeleitet davon auch in der Realit?t) st?sst im Gebiet der heutigen Provinz Yunnan die nord?stlichste Ecke der indischen Platte gegen die asiatische und ?dellt? den ?stlichen Teil des Himalajas und des tibetischen Plateaus stark ein. Dadurch entstehen starke Spannungen, die von zahlreichen Erdbeben begleitet werden. Diese deformieren die Erdoberfl?che entlang von Verwerfungen, welche die Landschaft ?zerschneiden?.

Diese Deformationen der Oberfl?che zwingen Flussl?ufe in andere Betten oder unterbrechen gar Wasserl?ufe, sodass Flüsse einen Teil ihres Einzugsgebietes verlieren. F?llt beispielsweise ein Zufluss weg, führt der bisherige Fluss weniger Wasser. Dadurch verkleinert sich die Erosions- und Sedimenttransportkapazit?t entlang seiner Strecke; dies verringert seinerseits die Steilheit der Flussufer. Aber auch an den angrenzenden H?ngen wird die Abtragung langsamer, da der Fluss weniger aggressiv an ihnen ?nagt? und sie weniger schnell untergr?bt. Dadurch werden H?nge weniger steil, Rutschungen werden seltener. Auf diese Weise bilden sich über Jahrmillionen inmitten des Gebirges Landschaften, die denen in den Tallagen ?hneln. Für den Mitautor der Studie, ETH-Professor Sean Willett, ist der Fall klar: ?Unsere Simulationen zeigen eindeutig, dass sich diese Hocht?ler vor Ort entwickelt haben mussten und nicht Relikte ehemaliger Tiefl?nder sind.?

Dass Gletscher die sanften Formen schufen, schliesst Willett aus. Die Vergletscherung in der Studienregion habe sich auf die h?chsten Gipfelregionen beschr?nkt. M?glicherweise habe sie mitgeholfen, hohe Berge und ausgedehnte H?nge zu erodieren. Für die Bildung der T?ler seien aber ausschliesslich Flüsse verantwortlich.

Engadin wie Shangri-La?

Die Resultate der Studie treffen nicht nur für den ?stlichen Himalaja zu, sondern auch für andere Gebirge. Als Beispiel für die Schweizer Alpen nennt der ETH-Professor das Engadin. Der Talboden liege auf grosser Meeresh?he, sei aber flacher als man es von einem reinen Gletschertal erwarten würde. Vieles spreche dafür, dass sich das Engadiner Hochtal genauso wie die Hocht?ler des süd?stlichen tibetischen Hochlandes vor Ort auf dieser H?henlage gebildet haben k?nnte. ?Der Malojapass ist kein richtiger Pass, da er auf der Engadiner Seite keine Gegensteigung aufweist?, gibt Willett zu bedenken. ?Es sieht so aus, als ob der Talanfang abgeschnitten wurde.?

Ob das Engadin und andere alpine Hocht?ler tats?chlich dem aktuellen Modell der Erdwissenschaftler entspricht, kl?ren diese mit einer kommenden Studie ab.

Vergr?sserte Ansicht: Kein Relikt ehemaliger Tiefländer: Dieses liebliche Hochtal dürfte sich an Ort und Stelle gebildet haben. (Bild: Giuditta Fellin / ETH Zürich)
Kein Relikt ehemaliger Tiefl?nder: Dieses liebliche Hochtal auf über 3000 m ü.M. dürfte sich an Ort und Stelle gebildet haben. (Bild: Giuditta Fellin / ETH Zürich)

Literaturhinweis

Yang R, Willett S, Goren L. In situ low-relief landscape formation as a result of river network disruption. Nature, published online 22. April 2015; DOI: externe Seite 10.1038/nature14354

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