Flippiger Lipid-Transport
Einem Team von Forschern der ETH Zürich und der Universit?t Bern ist es gelungen, die Struktur eines speziellen Transport-Enzyms, einer Flippase des Bakteriums Campylobacter jejuni, aufzukl?ren. Die Struktur lieferte ihnen darüber hinaus eine Erkl?rung dafür, wie Flippasen bestimmte Lipide auf den Kopf stellen k?nnen.
Membranen spielen in der Biologie eine überaus wichtige Rolle: Sie trennen das Zellinnere vom extrazellul?ren Aussenraum ab, sie geben Zellen Form und Gr?sse. Und nicht zuletzt laufen an Oberfl?chen von Membranen unz?hlige lebenswichtige Prozesse und der Stoffaustausch ab.
Gebildet werden Membranen in der Regel durch eine Doppelschicht von Lipiden. Lipide haben einen ?wasserliebenden? (hydrophilen) Kopf, an welchen zwei lange, wasserabstossende (hydrophobe) Kohlenwasserstoffketten gebunden sind. Bei einer Doppellipidschicht liegen die hydrophilen K?pfe der Lipide aussen, die hydrophoben Ketten sind einander zugewandt. In die Membran eingebettet sind zahlreiche weitere Bestandteile wie Poren bildende Proteine oder Transport-Enzyme.
Lipid-Transport essenziell
Der Transport von Phospholipiden sowie von Lipid-gebundenen Oligosacchariden (Lipid-linked Oligosaccharide, LLO) ist aufgrund der bipolaren Natur der Doppelmembran – hydrophobes Inneres, hydrophile Aussenhaut - energieabh?ngig und nur schwierig zu bewerkstelligen. Hier kommen sogenannte Flippasen zum Einsatz. Das sind Transportproteine, die über einen besonderen Flipp-Mechanismus Lipide von der einen auf die andere Seite der Membran bringen. Flippasen haben eine wichtige Rolle beim Aufrechterhalten der Asymmetrie von zellul?ren Membranen, also in der unterschiedlichen Lipid-Zusammensetzung der Innen- und Aussenseite.
Die asymmetrische Verteilung von Lipiden beeinflusst bei S?ugern etwa die Blutgerinnung, die Immunerkennung oder den programmierten Zelltod, die Apoptose. Wissenschaftler vermuten, dass eine aus den Fugen geratene Lipid-Asymmetrie mit neurodegenerativen Krankheiten wie dem Alzheimer-Syndrom in Verbindung stehen k?nnte. Zudem spielen Flippasen eine essentielle Rolle im Transport von Lipid-gebundenen Oligosacchariden, die bei der Glykosylierung auf Proteine übertragen werden.
Flippase-Struktur erstmals aufgekl?rt
Bislang kannten Biologen weder die genaue Struktur von Flippasen noch deren Mechanismus, wie sie die LLO umorientieren. Nun zeigt eine Forschungsgruppe von Wissenschaftlern der ETH Zürich und der Universit?t Bern, unter der Leitung von ETH-Professor Kaspar Locher, wie eine dieser Flippasen, die bakterielle ?PglK?, aufgebaut ist und wie sie funktioniert. PglK sitzt in der Membran des Bakteriums Campylobacter jejuni, einem Krankheitserreger des Menschen.
Um die molekulare Struktur von PglK zu bestimmten, isolierten die Forschenden diese Flippase aus Bakterienmembranen und ?froren? die gefundenen Moleküle ein, indem sie diese kristallisierten. Die Kristalle wurden danach mittels R?ntgenspektroskopie untersucht und die Positionen der Atome, aus welchen die Flippase besteht, mit hoher Aufl?sung bestimmt. So erhielten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von drei verschiedenen Stadien dieses beweglichen Moleküls die r?umliche Anordnung. Die Kenntnis der Stadien erm?glichte es ihnen schliesslich auch, einen molekularen Mechanismus abzuleiten, wie PglK LLOs umlagert.
So zeigen die Forschenden in ihrer Arbeit, die eben in der Fachzeitschrift Nature ver?ffentlicht wurde, dass PglK aus zwei identischen Untereinheiten besteht, die sich unter Energiezufuhr wie eine Schere bewegen. Der hydrophile Zuckerteil des Lipid-gebundenen Oligosaccharids wird dann wie einem Kreditkartenleseger?t durch einen ebenfalls hydrophilen Kanal von PglK gezogen. Der hydrophobe Lipid-Teil des Moleküls hingegen bleibt im hydrophoben Teil der Membran stecken. Dadurch ?ndert das LLO insgesamt seine Orientierung, der Zuckerteil kommt auf die Membranaussenseite zu liegen. Die Flippase ?ndert ihre Konformation w?hrend der Translokation des Oligosaccharids nicht. Erst wenn das LLO die Flippase verlassen hat, kehrt diese in den Ursprungszustand zurück.
Flippase Mechanismus verstehen
Der nun gefundene Mechanismus unterscheidet sich grundlegend von bisher erforschten Transportprozessen, die über vergleichbare Transportkomplexe in Membranen ablaufen. ?Das Flippen von Lipiden in Membranen hat Biochemiker und Zellbiologen seit jeher fasziniert; die biologische L?sung dieses Problems hat uns begeistert!? sagt Ko-Autor Markus Aebi, Professor für Mikrobiologie an der ETH Zürich.
Die Forschungsgruppen von ETH Zürich und Universit?t Bern sind die ersten, die dieses fundamentale biologische R?tsel, wie LLO geflippt wird, nun l?sen konnten. Dazu haben sie ein neuartiges In-vitro-Modell entwickelt. ETH-Professor Aebi betont, dass es nur durch die Zusammenarbeit von Strukturbiologen, Chemikern und Mikrobiologen gelungen ist, diesen grundlegenden Mechanismus zu entschlüsseln: ?Alle Gruppen haben ihre jeweilige Expertise auf ihrem Gebiet eingebracht. Nur so konnten wir diesen Erfolg erzielen.?
Nutzen für Therapeutika?
Die Arbeit sei reine Grundlagenforschung, obwohl es Erkrankungen gibt, die auf Mutationen in einer menschlichen Flippase zurückzuführen seien, so Aebi weiter. Diese Krankheiten geh?ren zur Klasse der ?Congenital Disorders of Glycosylation?. Beim Menschen sind über 10‘000 Glykosylierungsstellen in verschiedensten Proteinen bekannt, ?deshalb wirken sich Ver?nderungen in der Glykosylierung, an der die Flippase grundlegend beteiligt ist, auf sehr viele Prozesse im K?rper aus?, sagt der ETH-Professor. Davon betroffen sei beispielsweise die Entwicklung und Reifung des Zentralnervensystems.
Ob sich das nun erarbeitete Wissen über die bakterielle Flippase PglK eines Tages anwenden lasse, sei zum heutigen Zeitpunkt unklar. Flippasen sind jedoch bereits heute Bestandteil von biotechnologischen Systemen zur Herstellung von Glykoproteinen, die in der Diagnostik und als Therapeutika verwendet werden.
Literaturhinweis
Perez C, Gerber S, Boilevin J, Bucher M, Darbre T, Aebi M, Reymond J-L, Locher KP. Molecular view of lipid-linked oligosaccharide translocation across biological membranes. Nature, Advanced online publication, 12th August 2015. DOI: externe Seite 10.1038/nature14953