Einfach zu grosser Komplexität

Die Natur stellt einen der komplexesten bekannten Wirkstoffe auf verblüffend einfache Weise her, konnten ETH-Mikrobiologen zeigen. Ursprünglich stammt das Molekül von Bakterien, die in Meeresschw?mmen leben. In Zukunft kann es m?glicherweise sehr einfach biotechnologisch hergestellt werden, was es für die Krebsforschung interessant macht.

Jörn Piel mit einem 3D-Modell
ETH-Professor J?rn Piel mit einem 3D-Modell des komplexen Schwammbakterien-Wirkstoffs, einem Polytheonamid. (Bild: ETH Zürich / Peter Rüegg)

Es ist eines der komplexesten bekannten Peptide der Natur: ein als Zellgift wirkendes Nanor?hrchen, das im Pazifik lebende Meeresschw?mme zur Verteidigung gegen andere Lebewesen verwenden. Hergestellt wird es von Bakterien, welche mit den Schw?mmen in Symbiose zusammenleben. Dabei produziert zun?chst die bakterielle Proteinherstellungsmaschinerie ein Vorl?uferpeptid. Bakterielle Enzyme ver?ndern dieses schliesslich an nicht weniger als 49 genau definierten Stellen (siehe Kasten). Diese Ver?nderungen bestimmen die Form und Funktion des Peptid-Nanor?hrchens und erh?hen dessen Stabilit?t.

Steinschwamm
Der Steinschwamm Theonella swinhoei kommt rund um die Insel Hachijo an der Ostküste Japans vor. In ihm leben Bakterien, die das komplexe Molekül herstellen. (Bild: Toshiyuki Wakimoto)
3D-Modell
Sogenannte postranslationale Modifikationen sind im Molekül-Modell farbig markiert. (Bild: ETH Zürich / Peter Rüegg)

?Peptide mit so vielen spezifischen chemischen Modifikationen sind in der Natur aussergew?hnlich und selten. Uns ist kein komplexeres Beispiel bekannt?, sagt J?rn Piel, Professor am Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich. Ebenso bemerkenswert ist, dass die Bakterien für die Modifikationen bloss sieben Enzyme ben?tigen, wie Piel und seine Kollegen herausgefunden haben.

Diese Enzyme waren von genetischen Studien bereits bekannt. Ob sie ausreichen, um alle Modifikationen zu vermitteln, war bisher allerdings umstritten. Piel, sein Postdoc Michael Freeman, heute Professor an der University of Minnesota, und seine weiteren Mitarbeiter machten daher die Probe aufs Exempel: Sie fügten die Gene dieser Enzyme einzeln in Laborbakterien vom Typ E. coli beziehungsweise Rhizobium ein. So gelang es ihnen in einem mehrstufigen biotechnologischen Ansatz, Peptide mit beinahe allen 49 Ver?nderungen herzustellen. Damit konnten die Forschenden auch beweisen, dass der ?Minimalsatz? von sieben Enzymen ausreicht, um die Ver?nderungen zu vermitteln. Dies berichten sie in der Fachzeitschrift ?Nature Chemistry?.

?Wir beobachten einen immensen Kontrast zwischen der unglaublichen Komplexit?t des Naturstoffs und dem extrem ?konomischen enzymatischen System, das zu seiner Herstellung ben?tigt wird.?J?rn Piel

Potenzieller neuer Krebswirkstoff

Zellgifte wie das untersuchte Schwammbakterien-Peptid sind medizinisch interessant, etwa als potenzielle neue Krebswirkstoffe. Das Peptid als Naturstoff im industriellen Massstab direkt aus den Schwammbakterien zu gewinnen, ist allerdings nicht m?glich. ?Das Bakterium braucht einen bestimmten Schwamm, der nur in Japan vorkommt, als Symbiosepartner. Im Labor kann man es bisher nicht kultivieren?, erkl?rt Piel.

Er und seine Kollegen versuchen daher, die derzeit noch aufw?ndige biotechnologische Herstellung des Schwammbakterien-Moleküls zu optimieren. Ihr Ziel ist, ein kultivierbares Bakterium zu finden, in dessen Genom sich die Bauanleitungen aller sieben Enzyme gleichzeitig so einbauen lassen, dass man damit das komplexe Molekül in einem Schritt herstellen kann.

Werkzeug für die Biotechnologie

Doch nicht nur das untersuchte Peptid ist für die Forschung interessant, sondern auch die sieben Enzyme. Eines davon kann die atomare Struktur der Peptid-Bausteine – der Aminos?uren – in ihr Spiegelbild verkehren. ?Dieses Enzym ?ndert die Konfiguration jeder zweiten Aminos?ure im Peptid. Dadurch wird erst die Voraussetzung geschaffen, dass sich die R?hrchen-Struktur des Peptids ausbilden kann?, sagt ETH-Professor Piel. Aminos?uren mit Spiegelbild-Konfiguration sind in der Natur selten. Das Enzym, das die Struktur?nderung vermittelt, ist daher ein interessantes Werkzeug für die synthetische Biologie und die Biotechnologie.

Nicht im Labor kultivierbare Bakterien sind eines von Piels Hauptforschungsgebieten. Nur ein kleiner Teil der in der Natur vorkommenden Bakterien wachsen unter Laborbedingungen und lassen sich daher einfach erforschen. Von den in Schw?mmen lebenden Bakterien lassen sich beispielsweise nur ein Promille bis ein Prozent kultivieren. Von der Erforschung nicht kultivierter Bakterien erhoffen sich Wissenschaftler unter anderem, neuartige Enzyme zu finden, die in der Biotechnologie angewandt werden k?nnen, sowie neue medizinisch relevante Naturstoffe.

Posttranslationale Modifikationen

Peptide und Proteine werden in Zellen von Ribosomen hergestellt. Diese Enzyme lesen den auf Boten-RNA-Molekülen gespeicherten genetischen Bauplan ab und setzen nach dem Baukastensystem einzelne Aminos?uren zu Peptiden und Proteinen zusammen. Biologen nennen diesen Schritt Translation. In den Organismen werden viele Proteine anschliessend noch ver?ndert, beispielsweise indem spezialisierte Enzyme bestimmte Aminos?uren chemisch modifizieren. Posttranslationale Modifikation nennen Fachleute diesen Prozess. So umfangreiche und unterschiedliche Ver?nderungen wie im Fall des untersuchten Schwammbakterien-Peptids sind allerdings selten.

Literaturhinweis

Freeman MF, Helf MJ, Bhushan A, Morinaka BO, Piel J: Seven enzymes create extraordinary molecular complexity in an uncultivated bacterium. Nature Chemistry, 28. November 2016, doi: externe Seite10.1038/nchem.2666

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