«Asphalt hat einen gewichtigen Nachteil»

ETH-Professor Jan Carmeliet untersuchte zusammen mit Wissenschaftlern der Empa die jüngste Hitzewelle vom vergangenen Juni. ETH-News fragte ihn, wo es in Zürich im Sommer am angenehmsten ist und wie man St?dte mit baulichen Massnahmen vor Hitzeextremen schützen kann.

Jan Carmeliet
ETH-Professor Jan Carmeliet. Am Zürcher Hauptbahnhof (im Hintergrund) und bei den Gleisanlagen sind die Temperaturen an Hitzetagen besonders hoch. (Bild: ETH Zürich / Peter Rüegg)

ETH-News: Herr Carmeliet, warum ist es im Sommer in St?dten so viel heisser als auf dem Land?
Jan Carmeliet: In den St?dten gibt es viel Beton und Asphalt. Diese Materialien sind verh?ltnism?ssig dunkel und absorbieren daher Sonneneinstrahlung besonders stark. Am Tag erw?rmen sie sich und speichern die W?rme. Nachts wirken Geb?ude und Strassen dann wie Heizk?rper: Sie geben die tagsüber gespeicherte W?rme ab und heizen die Umgebung auf. Ausserdem halten in St?dten Geb?ude den Wind ab, und es hat weniger Vegetation als auf dem Land. Wind und Pflanzen, die Wasser verdunsten, haben einen kühlenden Effekt.

Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Empa untersuchten Sie die jüngste Hitzewelle Ende Juni für die Stadt Zürich. Wie viel w?rmer war es da in der Stadt?
Der Stadt-Land-Unterschied – in der Wissenschaft sprechen wir von st?dtischen Hitzeinseln oder auf Englisch von der Urban Heat Island Intensity – betrug in der Nacht auf den 22. Juni in Zürich 6 Grad. Wir hatten da w?hrend des Vortags eine hohe Sonneneinstrahlung. Die Nacht war wolkenlos, weshalb in l?ndlicher Umgebung viel W?rme in die H?he entweichen konnte und sich die Luft dort stark abkühlen konnte. Im Stadtzentrum hingegen strahlten die Geb?ude und Strassen viel W?rme ab. Die n?chtliche Abkühlung war daher viel geringer. Sechs Grad ist ein hoher Wert. W?hrend der Hitzewelle im Sommer 2015 betrug der Stadt-Land-Unterschied nur maximal 4,5 Grad.

Vergr?sserte Ansicht: Modell: Temperaturen in Zürich morgens um 6 Uhr
Modellierte Lufttemperaturen in Zürich zwei Meter über Boden am 22. Juni 2017 um 6 Uhr morgens. Gr?sstes Geb?ude unterhalb der Bildmitte: Hauptbahnhof. Gelbe freie Fl?che unten: Zürichsee. (Quelle: Empa / ETH Zürich / Gianluca Mussetti)
Vergr?sserte Ansicht: Modellierung: Temperaturen in Zürich um 16 Uhr
Modellierte Lufttemperaturen in Zürich zwei Meter über Boden am 22. Juni 2017 um 16 Uhr. (Quelle: Empa / ETH Zürich / Gianluca Mussetti)

Mit einer Computersimulation modellierten Sie die Temperaturen für die Stadt Zürich mit hoher Aufl?sung. Wo war es in Zürich w?hrend der jüngsten Hitzewelle am heissesten?
Am heissesten war es in der Umgebung des Hauptbahnhofs und auf den Gleisfeldern davor. Die dunklen Geleise und der dunkle Schotter absorbierten sehr viel W?rme. Ebenfalls sehr heiss war es in Unterstrass sowie zwischen dem Stadion Letzigrund und Altstetten.

Und wo waren die Temperaturen in Zürich am angenehmsten?
In Seen?he – im Seefeld, beim Bürkliplatz und in der Enge – waren die Nachtemperaturen tiefer. Dort brachte die Luftzirkulation kühlere Luft vom See in die Stadt. Ebenfalls angenehme Temperaturen herrschten im Hirslandenquartier und in Schwamendingen. Diese Stadtteile profitierten von Fallwinden vom Adlisberg und vom Zürichberg.

Was m?chten Sie mit solchen Computermodellierungen erreichen?
Wir m?chten Hitzewellen in St?dten kleinr?umig besser verstehen. Da es nicht praktikabel ist, eine ganze Stadt mit einem sehr dichten Netz an Temperaturmessstationen zu überziehen, behelfen wir uns mit Simulationen. Als Randbedingungen nutzen wir die Temperatur- und Wind-Messwerte von Wetterstationen und errechnen dann die Temperatur für Zürich und die Umgebung mit einer Aufl?sung von 250 Metern. Für die Simulation erg?nzten wir ein bestehendes Wettermodell mit Informationen zu Geb?uden, den verwendeten Materialien und der Vegetation. Mit solchen Modellen k?nnen wir auch den Einfluss von Hitzewellen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Stadtbewohner untersuchen. Denn dieser Einfluss ist gross. Viele ?ltere und kranke Personen haben Mühe mit Extremtemperaturen. Ihr Stoffwechsel passt sich nur langsam oder gar nicht an hohe Temperaturen an.

Bis zum Ende dieses Jahrhunderts müssen wir mit einer deutlichen Zunahme von Hitzeextremen rechnen, vor allem in Südeuropa, aber auch bei uns, prognostizieren Klimawissenschaftler. Müssen wir aufh?ren, unsere St?dte weiter zu verdichten?
Wenn wir unsere St?dte verdichten, müssen wir das intelligent machen und Luftzirkulation erm?glichen. Die typische Blockrandbebauung mit einem geschlossenen Innenhof ohne Vegetation oder Beschattung führt zu W?rmeinseln. Wichtig ist, dass wir die Luftzirkulation in der Stadt erm?glichen und beispielsweise rund um Seen und Gew?sser eine offene Bauweise erhalten. Geschlossene H?userfronten am Ufer verhindern, dass kühlere Seeluft in die Stadt str?men kann.

In Ihrer Forschung besch?ftigen Sie sich auch mit der Frage, wie wir unsere St?dte vor h?ufiger werdenden Hitzeextremen schützen k?nnen. Welche M?glichkeiten gibt es da?
Die st?dtische Infrastruktur kann man nicht ohne weiteres ver?ndern. Umsetzbar w?ren jedoch Massnahmen an Hotspots. Effizient sind die Beschattung und die Kühlung mit Wasser. Exponierte Strassen k?nnten etwa mit hellen Segeln beschattet werden. Oder es k?nnte Regenwasser – zum Beispiel von Sommergewittern – lokal gespeichert und an Hitzetagen versprüht werden. Weil B?ume sowohl beschatten als auch Wasser verdunsten, sind auch sie sehr effizient. Grosses Potenzial liegt zudem in der Entwicklung neuer Baumaterialien.

Inwiefern?
Nehmen Sie den Strassenbelag als Beispiel: In der Schweiz sind sehr viele Strassen, Trottoirs und Freifl?chen asphaltiert. Solche Fl?chen sind einfach zu unterhalten. Asphalt hat jedoch auch einen gewichtigen Nachteil: Wegen seiner dunklen Farbe absorbiert er viel W?rme. Wünschenswert w?ren hellere und por?se Bel?ge, die bei Regen Wasser aufnehmen oder bew?ssert werden k?nnen. In einem meiner Forschungsprojekte besch?ftige ich mich mit der Entwicklung solcher Bel?ge.

Zur Person

Jan Carmeliet (56) ist Professor für Bauphysik an der ETH Zürich und Leiter der Forschungsgruppe Urban Climate an der Empa. Seine Hauptforschungsinteressen sind das st?dtische Klima, urbane Energiesysteme und deren Modellierung sowie die Suche nach L?sungen für negative Folgen des Klimawandels in St?dten durch den Einsatz neuartiger Baumaterialen und Bepflanzung.

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Das Projekt auf einen Blick. (Video: ETH Zürich)

Sommerserie

Im Rahmen einer Serie pr?sentiert ETH-News w?hrend der Ferienzeit regelm?ssig Beitr?ge zu Forschung und Innovation, welche etwas mit der sch?nsten Zeit des Jahres zu tun haben. Bisher in dieser Serie erschienen:

- ?Den Urlaub nicht als Glücksautomatismus belasten?,  18.07.17

Vorankündigung: ETH-Klimarunde zum Thema

Wie wichtig sind St?dte als Treiber des Klimawandels? Was sind die Folgen des Klimawandels in unseren St?dten? Wie k?nnen sich St?dte für den Klimawandel rüsten? Und wie k?nnen wir unsere Lebensweise in St?dten anpassen, um den Klimawandel abzuschw?chen? Diesen Fragen wird die diesj?hrige ETH-Klimarunde am 8. November 2017 nachgehen.

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