Mit Quantencomputern komplexe chemische Prozesse aufklären

Wissenschaft und Computerindustrie setzen grosse Hoffnungen auf Quantencomputer, m?gliche Anwendungen beschreiben sie aber meist nur vage. Anhand eines konkreten Beispiels zeigen Wissenschaftler der ETH Zürich nun, was künftige Quantencomputer tats?chlich zu leisten verm?gen.

Künftige Quantencomputer werden den Reaktionsmechanismus des Enzyms Nitrogenase berechnen können. Im Bild das aktive Zentrum des Enzyms und eine für die Berechnung zentrale mathematische Formel. (Grafik: ETH Zürich)
Künftige Quantencomputer werden den Reaktionsmechanismus des Enzyms Nitrogenase berechnen k?nnen. Im Bild das aktive Zentrum des Enzyms und eine für die Berechnung zentrale mathematische Formel. (Grafik: ETH Zürich)

Nichts geringeres als eine technologische Revolution erwarten Fachleute von Quantencomputern: Sie sollen bald schon Probleme l?sen k?nnen, die wegen ihrer hohen Komplexit?t ausserhalb der Reichweite klassischer Supercomputer liegen. Die Datenverschlüsselung und -entschlüsselung sowie die L?sung spezieller Probleme in der Physik, Quantenchemie und Materialforschung sind oft genannte Anwendungsgebiete.

Wenn es um konkrete Fragen geht, deren Beantwortung Quantencomputer voraussetzen, blieben Experten bisher jedoch meist vage. Forschende von der ETH Zürich und von Microsoft Research pr?sentieren nun in der Fachzeitschrift PNAS erstmals eine ganz konkrete Anwendung: die Berechnung einer komplexen chemischen Reaktion. Damit veranschaulichen die Wissenschaftler, dass von Quantencomputern tats?chlich wissenschaftlich relevante Beitr?ge zu erwarten sind.

Anhand von Simulationen zeigen die Forschenden um die ETH-Professoren Markus Reiher und Matthias Troyer, dass sich eine komplexe chemische Reaktion mithilfe eines Quantencomputers berechnen l?sst. So ein Quantencomputer müsste von ?moderater Gr?sse? sein, wie Matthias Troyer sagt. Er ist Professor für Computational Physics an der ETH Zürich und derzeit für Microsoft t?tig. Die von den Wissenschaftlern pr?sentierte Reaktion ausschliesslich mit einem klassischen Supercomputer zu berechnen, w?re kaum m?glich – insbesondere, wenn die L?sung ausreichend pr?zis sein soll.

Eines der komplexesten Enzyme

Als Anschauungsbeispiel verwendeten die Forscher in ihrer Studie eine besonders komplexe Reaktion aus der Biochemie: Bestimmte Mikroorganismen k?nnen dank eines speziellen Enzyms, einer Nitrogenase, die in der Luft vorkommenden Stickstoffmoleküle spalten und daraus chemische Verbindungen mit nur einem Stickstoff-Atom herstellen. Wie genau die Nitrogenase-Reaktion abl?uft, ist jedoch unbekannt. ?Es ist dies eine der grossen ungel?sten Fragen der Chemie?, sagt Markus Reiher, Professor für Theoretische Chemie an der ETH Zürich.

Mit heutigen Computern l?sst sich das Verhalten einfacher Moleküle recht genau berechnen. Für die Nitrogenase beziehungsweise deren aktives Zentrum sei dies jedoch praktisch nicht m?glich, da das Molekül zu komplex sei, erkl?rt Reiher.

Komplexit?t heisst in diesem Fall, wie viele Elektronen innerhalb des Moleküls über verh?ltnism?ssig lange Strecken miteinander wechselwirken. Je mehr Elektronen die Wissenschaftler berücksichtigen müssen, desto umfangreicher werden die Berechnungen. ?Mit bestehenden Methoden und klassischen Supercomputern kann man Moleküle bis h?chstens rund 50 stark wechselwirkenden Elektronen berechnen?, so Reiher. Beim aktiven Zentrum der Nitrogenase müsse man jedoch deutlich mehr solcher Elektronen berücksichtigen. Weil sich auf einem klassischen Computer der Aufwand für jedes zus?tzliche Elektron verdoppelt, br?uchte es dafür unrealistisch hohe Rechenkapazit?ten.

Andere Computer-Architektur

Wie die ETH-Forschenden nun zeigten, werden hypothetische Quantencomputer mit nur 100 bis 200 Quanten-Bits (Qubits) komplexe Teilprobleme innerhalb von einigen Tagen berechnen k?nnen, dank derer der Reaktionsmechanismus der Nitrogenase schrittweise bestimmt werden k?nnte.

Dass Quantencomputer solche herausfordernden Aufgaben überhaupt l?sen k?nnen, liegt unter anderem daran, dass sie grunds?tzlich anders aufgebaut sind als klassische Computer. Quantencomputer ben?tigen pro zus?tzlich zu berechnendes Elektron nicht doppelt so viele Bits, sondern einfach ein zus?tzliches Qubit.

Wann es solche ?moderat grossen? Quantencomputer geben wird, ist allerdings ungewiss. Derzeitige experimentelle Quantencomputer besitzen erst um die 20 rudiment?re Qubits. Bis zu einem Quantencomputer, bei dem mehr als hundert qualitativ hochstehende Qubits für Rechenoperationen zur Verfügung stehen, wird es noch mindestens fünf, vermutlich jedoch eher zehn Jahre dauern, sch?tzt Reiher.

In Massen und miteinander vernetzt

Weil Quantencomputer nicht alle Aufgaben l?sen k?nnen, werden sie klassische Computer dereinst nicht verdr?ngen, sondern erg?nzen, wie die Forscher betonen. ?Die Zukunft wird gepr?gt sein von einem Zusammenspiel von klassischen Computern und Quantencomputern?, sagt Matthias Troyer.

Im Fall der Nitrogenase-Reaktion wird es so sein, dass Quantencomputer berechnen, wie die Elektronen in einer bestimmen Molekülstruktur verteilt sind. Welche Strukturen besonders interessant sind und daher berechnet werden sollen, wird hingegen weiterhin ein klassischer Computer dem Quantencomputer mitteilen müssen. ?Den Quantencomputer muss man sich eher wie einen Co-Prozessor vorstellen, der einem klassischen Computer bestimmte Aufgaben abnehmen und ihn so beschleunigen kann?, sagt Markus Reiher.

Um den Mechanismus der Nitrogenase-Reaktion aufzukl?ren, reicht es ausserdem nicht, die Elektronenverteilung in einer einzigen Molekülstruktur zu bestimmen. Vielmehr muss diese Verteilung in tausenden von Strukturen bestimmt werden. Jede Berechnung dauert mehrere Tage. ?Damit Quantencomputer für diese Art von Problemen von Nutzen sind, müssen sie dereinst in Massen zur Verfügung stehen. So k?nnen die Berechnungen auf mehreren Rechnern gleichzeitig laufen?, sagt Troyer.

Literaturhinweis

Reiher M, Wiebe N, Svore KM, Wecker D, Troyer M: Elucidating reaction mechanisms on quantum computers: PNAS 2017, 114: 7555-7560, doi: externe Seite 10.1073/pnas.1619152114

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