Digitalisierte Studierende?
Renate Schubert macht sich Gedanken über den Umgang mit den digitalisierten Daten von Lernenden – sie sieht viel Potenzial, aber auch einige offene Fragen.
Neuerdings werden in der Lehre an Hochschulen riesige Datenberge erzeugt. Immer mehr Lehrveranstaltungen arbeiten mit elektronischen Plattformen, wie etwa Moodle oder OLAT. Diese Plattformen erm?glichen es aufzuzeichnen, welche Studierende sich wie oft einloggen, um sich mit dem Stoff einer Veranstaltung auseinanderzusetzen, wie lange sich die Studierenden mit bestimmten ?bungsaufgaben besch?ftigen, wie viele Versuche sie ben?tigen, um bestimmte Aufgaben richtig zu l?sen, usw. Diese Daten erlauben viele spannende Aussagen und k?nnen helfen, das Lernen effizienter und erfolgreicher zu gestalten. So weit, so gut…doch einige Fragen tauchen auf, wenn man n?her hinschaut.
Und wenn Daten manipuliert werden?
Als Dozentin oder als Dozent kann ich mir anhand der Daten einen Eindruck davon verschaffen, ob meine ?bungsaufgaben oder Hausaufgaben eher zu schwierig oder zu leicht sind, und kann darauf sinnvoll reagieren. Ich kann weitere Wiederholungen einplanen, zus?tzliches oder anderes Material bereitstellen. Aber k?nnen wir Dozierenden sicher sein, dass die Studierenden das Ganze nicht strategisch nutzen und Daten erzeugen, die uns beispielsweise Probleme mit dem Lernstoff vorgaukeln, die in Wirklichkeit gar nicht existieren?
Bremsen wir die Motivation von Studierenden?
Auch unsere Studierenden k?nnen von den Daten profitieren. Zum Beispiel k?nnen sie sich mit ihren Studienkolleginnen und -kollegen vergleichen und den eigenen Lernerfolg bzw. ihr Lernverhalten beurteilen. Idealerweise würden sich die Studierende dann (noch) mehr anstrengen oder sich bei Problemen rasch Hilfe holen.
Aber müssen wir nicht befürchten, dass derartige Informationen zu einer kompletten Demotivation führen? Vertreiben wir m?glicherweise Studierende aus einer Lehrveranstaltung, weil sie nicht wissen, wie sie ihr offenbar wenig erfolgreiches Lernverhalten verbessern k?nnen? Und was ist mit denjenigen, denen ein Lernerfolg attestiert wird, der (deutlich) über dem Durchschnitt liegt? Bremsen wir mit unseren Informationen eventuell Spitzenleistungen aus?
Was passiert mit Lerndaten?
Wie ist es eigentlich um die Sicherheit und um die Eigentumsrechte an Lerndaten bestellt? Was unternehmen Universit?ten, was unternimmt die ETH, um zu verhindern, dass die Daten gehackt werden? Künftige Arbeitgeber k?nnten so Informationen darüber erhalten, wie konsequent und wie schnell jemand beim Lernen an der Hochschule war bzw. wo die individuellen St?rken und Schw?chen liegen. Und wem geh?ren diese Lerndaten eigentlich? Grunds?tzlich geh?ren die Daten den einzelnen Lernenden. Wie aber k?nnen sie kontrollieren, wer welche Auswertungen mit ihren Daten macht? W?ren individuelle Datenkonten eine L?sung? Oder handelt man sich mit solchen Konten zus?tzliche Probleme ein, die vergleichbar sind mit Problemen bei Bankkonten, für deren sinnvolle Verwaltung es den Konto-Inhaberinnen und -Inhabern h?ufig an grundlegender Kompetenz fehlt?
Kein Verzicht, aber…
Die Digitalisierung der Lehre und die mit ihr verbundene Erzeugung grosser Mengen von Lerndaten hat ein interessantes Potenzial, ?ffnet aber auch ein breites Feld an unklaren Aspekten, um die wir uns kümmern sollten. Ist deswegen auf die entsprechende Datenproduktion verzichten? Nein, sicher nicht – aber wenn wir die Verwendung von Lerndaten zum Erfolgsmodell machen wollen, müssen wir zus?tzliche Anstrengungen unternehmen.
Es braucht einerseits mehr sozialwissenschaftliche Forschung und individuelle Coachings für Studierende, welche sicherstellen, dass die produzierten Lerndaten für Dozierende und Studierende eine verl?ssliche und sinnvoll nutzbare Basis bieten. Andererseits braucht es klare, transparente und durchsetzbare Eigentumsrechte an den Daten. Die Studierenden müssen ihre Eigentumsrechte kennen und geschult werden, mit ihren Daten kompetent umzugehen. Eine Learning Analytics-Strategie der ETH Zürich muss der n?chste Schritt sein!