Biodiversitätskrise als Chance nutzen

Es wird w?rmer, die G?rten blühen – endlich Frühling! Doch die Idylle trügt. Etwas fehlt. Zusehends. Wir sollten nicht l?nger wegschauen, sondern handeln, fordert Christoph Küffer.

Christoph Küffer

Die Artenvielfalt schwindet. Dank eines alarmierenden Berichts des Weltbiodiversit?tsrates (IPBES)1 und eindeutiger Befunde zum Insektensterben2 w?chst in der ?ffentlichkeit das Bewusstsein, dass unsere belebte Natur akut bedroht ist: Der Frühling verstummt zusehends3, und gerade auch in der Schweiz sind etliche Tier- und Pflanzenarten unter enormem Druck.4 Als w?re der Klimawandel nicht Herausforderung genug, droht uns nun auch eine Biodiversit?tskrise. Die gute Nachricht: Wir k?nnen direkt vor unserer Haustür Massnahmen ergreifen und unmittelbar davon profitieren.

Wildbienen-Habitat an der Seitenflanke des ETH-Hauptgebäudes
Braucht es künftig dringend mehr: Blühende n?hrstoffarme Naturwiesen, die heimischen Pflanzen und Insekten Raum zum Leben bieten. Bildmitte: das Wildbienen-Habitat an der Seitenflanke des ETH-Hauptgeb?udes. (Bild: Rebecca Lehmann / ETH Zürich)

Unseren Lebensraum erhalten

Im Vergleich zum Klimawandel hat die Biodiversit?tskrise den grossen Vorteil, dass es um unseren lokalen Lebensraum geht. Unabh?ngig davon, ob andere L?nder mitziehen, k?nnen wir die ?kologie in der Schweiz schnell und deutlich verbessern. Das dient nicht nur den wilden Arten, sondern vor allem auch uns selbst: In Form von hoher Wasserqualit?t, fruchtbaren B?den und gesunden Nahrungsmitteln, erholsamen Landschaften und ?kologisch begrünten St?dten, die erst noch besser gegen den Klimawandel gerüstet sind.

In den Natur- und Landschaftsschutz investieren

In der Schweiz fliessen derzeit etwa 30 Franken pro Einwohner und Jahr an Steuergeld in den Natur- und Landschaftsschutz5, und unsere Naturschutzfl?chen sind im europ?ischen Vergleich sehr klein.6 Gem?ss Experten reichen diese Schutzfl?chen bei weitem nicht aus, um die Vielfalt der heimischen Arten zu erhalten.7 Zudem braucht es deutlich mehr Mittel für die Pflege und Revitalisierung wertvoller Gebiete.8

Was ist uns die Rettung der letzten Fr?sche und Wildbienen wert? Was darf die Erhaltung sch?ner Schweizer Landschaften kosten? 100 Franken pro Einwohner und Jahr, oder 500 Franken, oder vielleicht 1000 Franken? Allein für den Verkehr bezahlen wir über 2000 Franken Steuergelder pro Kopf und Jahr.5

Rechnet man die negativen Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt, Natur und Gesundheit ein – die sogenannten externen Kosten – kommen j?hrlich nochmal zehn Milliarden Franken dazu.9 Bei der Biodiversit?t hingegen sind die meisten Nebeneffekte für Mensch und Natur positiv – man nennt diese Gratis-Gewinne ?kosystemleistungen.

W?lder, Kulturland und Flüsse revitalisieren

Dass Revitalisierungsprojekte rasch zu beachtlichen Erfolgen führen k?nnen, zeigt etwa der Auenschutzpark Aargau. 1993 hat die Aargauer Bev?lkerung entschieden, ein Prozent der Kantonsfl?che als Schutzpark zu revitalisieren.10 Dieses Ziel wurde inzwischen weitgehend erreicht. Der Eisvogel erhielt wieder ein Refugium, und die Aargauer pr?chtige Naherholungsgebiete.

Auch in Schweizer W?ldern profitieren Vogelarten von F?rdermassnahmen. Dank naturnahem Waldbau mit mehr Totholz nahmen insektenfresssende Arten in den letzten Jahrzehnten wieder zu.11

Siedlungsr?ume lebensfreundlich gestalten

Unsere Siedlungen sind zunehmend von verbauten und versiegelten Fl?chen, monotonen Zierrasen und toten Schotterg?rten gepr?gt. Stattdessen liessen sich mit einfachen Massnahmen naturnahe Siedlungen gestalten, die sch?n fürs Auge und reich an Leben sind.12 Das k?me nicht zuletzt auch unserer Gesundheit zugute. Umgeben von vielf?ltigen G?rten und artenreichen Grünr?umen sind wir produktiver, weniger gestresst und leben l?nger.13

Das Schweizer Radio und Fernsehen SRF hat eine nationale Kampagne zu Biodiversit?t gestartet: Mission B.14 Die Aktion zeigt auf, was jede und jeder einzelne tun kann, um die Vielfalt der Natur mitten unter uns zu f?rdern.

Die Landwirtschaft ?kologisch umbauen

Wer durchs landwirtschaftliche Mittelland streift, mag die Farben des Frühlings sehen, doch die Felder und Wiesen sind ?kologisch stark verarmt4,11. Die Weltbank und die Ern?hrungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen forderten bereits vor zehn Jahren in einem globalen Expertenbericht, dass es eine Trendwende hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft braucht.15

?Als Steuerzahler k?nnen wir für eine ?kologische Landwirtschaft einstehen, von der auch die Pflanzen- und Tierwelt profitiert.?Christoph Küffer

Der Schweizer Agrarsektor wird jedes Jahr mit mehreren Milliarden Steuergeldern unterstützt.16 Derzeit wird die neue Agrarpolitik definiert (Agrarpolitik 2022+). Als Steuerzahler k?nnen wir für eine ?kologische Landwirtschaft einstehen, von der auch die Pflanzen- und Tierwelt profitiert.

Biodiversit?t als Chance nutzen

Fest steht: Machen wir weiter wie bisher, dann werden wir in den n?chsten Jahrzehnten ein grosses Artensterben in der Schweiz beobachten – und live miterleben, wie unsere Lebensgrundlage immer schneller schwindet.

Wenn wir jedoch konsequent auf ?kologische Landwirtschaft setzen, die Naturschutzgebiete vergr?ssern und Landschaften und Siedlungen ?kologisch aufwerten, dann wird die Schweiz in 20 Jahren wieder eine ?hnliche Artenvielfalt wie vor 50 Jahren haben. Und der Werbeslogan von Schweiz Tourismus wird dann wieder gültig sein: ?Schweiz. Ganz natürlich?.

Weiterführende Informationen

1 Naturwissenschaften Schweiz: externe SeiteWeltbiodiversit?tsrat warnt vor Artensterben,und IPBES: externe SeiteReport

2 Naturwissenschaften Schweiz: externe SeiteInsektenschwund in der Schweiz und m?gliche Folgen

3 Das Buch ?externe SeiteDer stumme Frühling? von Rachel Carson prophezeite bereits 1962, dass uns der Frühling nicht mehr mit Vogelgesang und Insektensummen begrüssen wird.

4 Naturwissenschaften Schweiz: externe SeiteZustand der Biodiversit?t in der Schweiz 2014

5 Biodiversit?tspolitik Schweiz: externe SeiteGrundlagenbericht

6 externe SeiteL?ndervergleich Biodiversit?t

7 Naturwissenschaften Schweiz: externe SeiteFl?chenbedarf zur Erhaltung der Biodiversit?t

8 Bafu (2017): externe SeiteBiotope von nationaler Bedeutung

9 Bundesamt für Raumentwicklung (2019): externe SeiteExterne Kosten und Nutzen des Verkehrs in der Schweiz. Strassen-, Schienen-, Luft- und Schiffsverkehr 2015.

10 externe SeiteAuenschutzpark Aargau

11 Schweizer externe SeiteBrutvogelatlas

12 Zum Beispiel externe SeiteBioterra oder externe SeiteNatur und Wirtschaft.

13 Willis, K. J., & Petrokofsky, G. (2017): externe SeiteThe natural capital of city trees. Science, 356(6336), 374-376.

14 SRF: externe SeiteMission B

15 IAASTD (2009): externe SeiteReport. Auf Deutsch: externe SeiteHier.

16 Siehe zum Beispiel diesen NZZ-externe SeiteArtikel

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