Landkarte der Krebsgenomforschung wird neu gezeichnet

Die genetischen Ursachen von Krebs sind noch vielf?ltiger als bisher wissenschaftlich belegt. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende der ETH Zürich und des Universit?tsspitals Zürich. Sie haben im Rahmen einer internationalen Forschungszusammenarbeit zum bisher umfassendsten Kompendium für krebsrelevante Gen-Ver?nderungen beigetragen, das auf der Analyse von vollst?ndigen Krebsgenomen basiert.

Vergr?sserte Ansicht: Im Pan-Cancer-Projekt untersuchten ETH-Forschende so umfassend wie noch nie, wie sich kleinste genetische Veränderungen auf Genprodukte auswirken, die eine Rolle bei der Krebsentstehung haben können. (Bild: EMBL)
Im Pan-Cancer-Projekt untersuchten ETH-Forschende so umfassend wie noch nie, wie sich kleinste genetische Ver?nderungen auf Genprodukte auswirken, die eine Rolle bei der Krebsentstehung haben k?nnen. (Bild: Rayne Zaayman-Gallant/EMBL)

So umfassend sind die genetischen Ursachen von Krebs noch nie untersucht worden: ?ber 1300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 37 L?ndern und über 70 Forschungsinstitutionen haben sich im ?Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes Project? (PCAWG), kurz: Pan-Cancer-Projekt, zusammengeschlossen, um zu erforschen, wie genau das menschliche Erbgut Krebs verursacht.

Ihr Augenmerk richtete sich auf krebsrelevante Ver?nderungen im Genom. Genome sind die biologischen Speicher der gesamten vererbbaren Information einer Zelle. Im Pan-Cancer-Projekt untersuchten die Forschenden mehr als 2600 vollst?ndige Genome von 38 verschiedene Tumorarten. Sie erfassten praktisch jedes Krebsgenom, das zu Projektbeginn zug?nglich war.

Das analysierte Datenset umfasste die genomischen Daten von 2658 Spenderinnen und Spendern aus 48 Krebsforschungsprojekten. Schweizer Patientendaten wurden nicht verwendet. Um die Ver?nderungen in den Genomen zu verstehen, waren diese riesige Datenmenge und auch die technischen Entwicklungen n?tig, um diese Daten austauschen zu k?nnen.

Ein neues Gesamtbild des Krebsgenoms

Die Ergebnisse der internationalen Forschungszusammenarbeit sind heute in 23 wissenschaftlichen Artikeln im renommierten Magazin Nature und zugeh?rigen Titeln erschienen. Die Forschung stehe kurz davor, sich ein vollst?ndigeres Bild über alle an Krebs beteiligten biologischen Prozesse im Genom machen zu k?nnen, heisst es dazu in der externe SeiteMedienmitteilung des PCAWG-Konsortiums.

Eine Haupterkenntnis ist, dass das Krebsgenom begrenzt und erkennbar, wenn auch enorm kompliziert sei. Tumorarten lassen sich demnach anhand von Mustern genetischer Ver?nderungen im Genom identifizieren.

W?hrend frühere Studien sich auf zirka 1 Prozent des Genoms konzentrierten, wurden im Pan-Cancer-Projekt die restlichen 99 Prozent des Genoms detaillierter untersucht. Dadurch wurden neue Schlüsselregionen identifiziert, die das An- und Ausschalten von Genen regulieren und somit krebserzeugende Ver?nderungen ausl?sen k?nnen. In diesem Sinn ist die Landkarte der Krebsgenomforschung neu gezeichnet worden.

?Im Prinzip haben wir die verschiedenen Puzzleteile zu einem vollst?ndigeren Gesamtbild zusammengesetzt. Nun k?nnen wir das Krebsgenom fast vollst?ndig lesen?, sagt Gunnar R?tsch, ?auch wenn der Weg noch weit ist, bis wir alle Einzelheiten vollst?ndig verstehen.? Im Pan-Cancer-Projekt hat der Professor für Biomedizininformatik an der ETH Zürich und am Universit?tsspital Zürich eine Arbeitsgruppe geleitet – zusammen mit Angela Brooks von der University of California, Santa Cruz, und Alvis Brazma vom European Bioinformatics Institute (EMBL-EBI).

Diese Gruppe untersuchte, wie sich Ver?nderungen der RNS-Erbinformation auf die Entstehung von Krebs auswirken. In einer Publikation in der Fachzeitschrift Nature haben sie nun den bisher umfassendsten Katalog krebsspezifischer RNS-Ver?nderungen vorgestellt.

Bild: ETH Zürich / Giulia Marthaler
Bild: ETH Zürich / Giulia Marthaler
So ausführlich konnte man bisher noch nie nachweisen, dass RNS-?Ver?nderungen eine so grosse Rolle bei der Entwicklung von Krebs spielen.Gunnar R?tsch

Krebsursachen auf der RNS-Ebene

Wie DNS-?Ver?nderungen Krebs erzeugen, wurde im Pan-?Cancer-Projekt prominent untersucht – sowohl DNS-?Ver?nderungen, die vererbt werden als auch solche, die im Laufe des Lebens auftreten. In der Zelle werden die in der DNS gespeicherten Informationen in RNS übersetzt und diese wird zu weiteren Genprodukten verarbeitet. Wie nun das Autorenkollektiv um Gunnar R?tsch im grossen Umfang aufzeigt, k?nnen aber auch Ver?nderungen der RNS erkl?ren, wie es zur Entwicklung von Krebs kommt.

?So ausführlich konnte man bisher noch nie nachweisen, dass RNS-?Ver?nderungen eine so grosse Rolle bei der Entwicklung von Krebs spielen. Das ist neu?, sagt Gunnar R?tsch. Es gibt Gene, wie zum Beispiel dasjenige, das im Insulin-?Stoffwechsel und bei Diabetes eine wichtige Rolle spielt (IGF2), bei denen Ver?nderungen besonders h?ufig in der RNS auftreten – und zwar ohne, dass sich die DNS ebenfalls ver?ndert. Wahrscheinlich ist ausserdem, dass DNS-? und RNS-?Ver?nderungen zusammen Krebs ausl?sen. Dieses Zusammenspiel ist bislang relativ wenig erforscht.

Vom Ablauf her muss man sich das so vorstellen: Die DNS ist der vererbte Teil der genetischen Information und damit die ?Vorlage?, nach der die RNS gebildet wird, die ihrerseits lebensnotwendige Proteine erzeugt. Wenn bei der RNS-?Bildung fehlerhafte Ver?nderungen auftreten, kann eine solche ?Alteration? Krebs ausl?sen. In ihrer Studie untersuchten die Forschenden Genom-?Daten von 1188 Spenderinnen und Spendern, die sowohl RNS-? als auch DNS-?Sequenzierungsproben enthielten.

731 krebsrelevante Gene

Der Katalog für krebsverursachende Gen-?Ver?nderungen, den die Forschenden damit erstellt haben, umfasst 27 verschiedene Tumorarten und 731 Gene, deren Ver?nderung krebsrelevant ist. Darunter befinden sich Gene, die sich haupts?chlich auf der DNS-?Ebene ver?ndern (wie TP53) wie auch solche, deren Ver?nderung am h?ufigsten in der RNS auftritt (wie GAS7, IGF2). 87 Tumor-?Proben wiesen keine DNA-?Ver?nderungen auf, sondern ausschliesslich RNS-?Ver?nderungen.

Die Forschenden entdeckten 649 F?lle, in denen krebsrelevante Fehler beim Kopieren und ?bersetzen der DNS in RNS auftraten, 1901 Ver?nderungen durch sogenanntes RNS-?Spleissen und eine neue Klasse von Genfusionen (75 F?lle). Beim RNS-?Spleissen werden ganze Abschnitte aus der RNS herausgeschnitten und neu zusammengesetzt. Dadurch k?nnen zuvor inaktive Gene so ?eingeschaltet? werden, dass unter Umst?nden Krebs entsteht. Vergleichbares kann bei Genfusionen eintreten.

Insgesamt stellten die Forschenden sieben Kategorien von krebsrelevanten RNS-?Ver?nderungen fest. ?Wenn man die RNS-?Ver?nderungen mit vererbbaren und nicht-?vererbbaren Ver?nderungen innerhalb des Genoms in Bezug setzt, kann man weitere Gene und genetische Mechanismen erkennen, die an Krebs beteiligt sind?, sagt André Kahles, der wie Natalie Davidson und Kjong Lehmann zu R?tschs Forschungsgruppe an der ETH Zürich geh?rt. Sie alle wirkten federführend an der Studie mit. Für die Forschung über Ursachen, Pr?vention, Diagnose und Behandlung von Krebs bietet dieses Kompendium der RNA-?Ver?nderungen eine neue wertvolle Quelle.

?Leonhard Med? machte es m?glich

Ein Kernfaktor zum Erfolg war die IT-?Infrastruktur der ETH: Als Gunnar R?tsch und sein Team vor vier Jahren vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York an die ETH Zürich kamen, bauten sie mit den ETH-??Informatikdiensten das Computersystem ?Leonhard Med? auf. Der Speicher-? und Rechnercluster ist extra so gebaut, dass auf ihm Muster in sehr grossen, medizinischen Datenmengen erkannt, respektive berechnet werden k?nnen. Er hat einen besonders schnell verfügbaren Speicher und erfüllte die besonderen Datenschutz-? und Sicherheitsanforderungen für Medizindaten.

?Ohne ?Leonhard Med? h?tten wir uns nicht an dieser Forschungszusammenarbeit beteiligen k?nnen?, sagt R?tsch, der auch dem Swiss Bioinformatics Institute angeh?rt, das die Bioinformatik und ihre Datengrundlage in der Schweiz koordiniert.

Das Pan-Cancer-Projekt

Das ?Pan-Cancer Analysis of Whole Genomes Project? (PCAWG), kurz: Pan-Cancer-Projekt) ist eine internationale Forschungszusammenarbeit, die im Rahmen des Iexterne Seitenternational Cancer Genome Consortium von fünf Institutionen geleitet wird: dem Europ?ischen Laboratorium für Molekularbiologie, dem Ontario Institute for Cancer Research, dem Broad Institute of MIT und Harvard, dem Wellcome Sanger Institute und der Universit?t von Kalifornien, Santa Cruz.

Sein Ziel ist, die genomischen Ver?nderungen bei vielen Krebsarten weltweit zu verstehen, um die weitere Erforschung von Ursachen, Pr?vention, Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen zu erm?glichen. Es baut auf vorhergehenden Grossprojekten wie ?externe SeiteThe Cancer Genome Atlas? oder ?externe SeiteChromothripsis Explorer? auf.

externe SeitePCAWG Portal — PanCancer Analysis of Whole Genomes.

Literaturnachweis

PCAWG Transcriptome Core Group, et al. Genomic basis for RNA alterations in cancer. Nature 2020, doi: externe Seite10.1038/s41586-?020-1970-0 .

Eine Zusammenstellung aller ?PCAWG Papers? und damit zusammenh?ngender Inhalte findet sich beim European Molecular Biology Laboratory (EMBL) und bei Nature:

Vergr?sserte Ansicht: Ein Überblick über die im Rahmen des Pan-Cancer-Projekts untersuchten Krebsarten. Im unteren Teil sind die sechs Krebsarten (für Männer und Frauen) aufgeführt, für die die meisten Proben zur Verfügung standen. (Grafik: Rayne Zaayman-Gallant/EMBL)
Ein ?berblick über die im Rahmen des Pan-Cancer-Projekts untersuchten Krebsarten. Im unteren Teil sind die sechs Krebsarten (für M?nner und Frauen) aufgeführt, für die die meisten Proben zur Verfügung standen. (Grafik: Rayne Zaayman-Gallant/EMBL)
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