Sich sehen in Zeiten von Covid

Es gibt bessere Technologien als die heutigen Videokonferenzsysteme, davon ist Markus Gross überzeugt. Die Schlüsseltechnologie dazu entwickeln sich in rasantem Tempo – aber nicht schnell genug.

Markus Gross

Stellen sie sich vor, sie sagen dem System einfach ?Ruf meine Eltern an? – die physisch weit entfernt sind oder die sie nicht besuchen dürfen, weil sie zu einer Risikogruppe geh?ren – und die fotorealistischen Avatare ihrer Eltern erscheinen bei ihnen zu Hause und setzen sich auf das Sofa neben sie, um ein Gespr?ch zu führen. Alles Science-Fiction? Nein, wir sind nicht allzu weit von einer solchen Realit?t entfernt, denn die Technologie ist fast da.

Diese surrealen Zeiten der sozialen Distanzierung, der pers?nlichen Isolation und des exzessiven Einsatzes von Videokonferenzen haben einmal mehr deutlich gemacht, dass die heutigen Videokonferenzsysteme erhebliche M?ngel haben. Egal, welches System ich benutze Zoom, Skype oder Hangouts nach einiger Zeit im Gespr?ch bin ich gestresst, gelangweilt oder müde.

Ein Holodeck – so ?hnlich wie bei Star Trek

Das erinnert mich an ein altes Paradigma, das in den letzten 50 Jahren in den Forschungslabors und in den letzten 100 Jahren des Kinos erdacht wurde: die Idee der umfassenden, holographischen Telepr?senz. Tats?chlich handelt es sich dabei um eine Art magisches, futuristisches Holodeck-System, das Menschen teleportiert, damit sie sich über grosse Entfernungen, m?glicherweise in virtuellen Welten, treffen und unterhalten k?nnen. Eine solche Technologie g?be den Benutzerinnen und Benutzern ein starkes Gefühl pr?sent zu sein, den Augenblick mit der Person, mit der man interagieren m?chte, zu teilen.

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In naher Zukunft k?nnten wir mit fotorealistischen Avataren interagieren. (Bild: BeingThere / ETH Zürich)

Als Forscher auf dem Gebiet der visuellen Datenverarbeitung und vor meiner Zeit bei Disney habe ich an mehreren Konzepten von immersiver Telepr?senz gearbeitet. Inspiriert durch die Vision meines lieben Freundes Henry Fuchs und seinem externe SeiteOfficeOfTheFuture habe ich mich im Jahr 2000 auf eine herausfordernde Reise begeben, um Blue-C zu bauen. Blue-C war damals das weltweit erste Holodeck mit stereoskopischer 3D-Projektion und holographischem Video. Es war eine heroische Ingenieursleistung in einer Zeit begrenzter Grafik-, Rechen- und Netzwerkressourcen, und wir arbeiteten drei Jahre bis zur Fertigstellung des Prototyps. Das Projekt hat auch meine Doktorierenden zeitweise fast zur Verzweiflung gebracht: ?Markus, dieses verdammte Ding wird nie funktionieren!? Nun, nach zahlreichen Versuchen funktionierte es dann doch irgendwie und lieferte uns sehr wertvolle Erkenntnisse darüber, was ein Telepr?senzsystem wirklich glaubwürdig macht.

Da-Sein und zukünftige Systeme

Zehn Jahre reicher an Erfahrung und Alter haben wir zusammen mit Partnern von der University of North Carolina und dem Nanyang Institute of Technology die Forschungsplattform der n?chsten Generation für Tele-Immersion auf den Weg gebracht: BeingThere, also Da-Sein. Das Projekt treibt alle Schlüsseltechnologien voran, die für den Aufbau von Teleportationssystemen erforderlich sind: Holografisches Video, 3D-Darstellung, Blickkorrektur, digitale Avatare und vieles mehr.

Auch die Industrie hat Fortschritte auf diesem Gebiet gemacht und eine Vielzahl von kommerziellen Produkten bereits auf dem Markt gebracht. Unternehmen wie Cisco haben eine lange Tradition in der Entwicklung von Telepr?senzsystemen; allerdings handelt es sich dabei eher um eine verbesserte Version bestehender Telepr?senz-Tools denn um einen echten technologischen Durchbruch, der unser Leben erheblich zum Besseren ver?ndern würde.

?Ich kann alle angehenden Unternehmerinnen und Unternehmer nur ermutigen, diese Gelegenheit zu ergreifen und etwas zur Verbesserung dieser Technologie beizutragen – wir haben sie nie dringender gebraucht als jetzt.?Markus Gross

Ich bin guter Hoffnung, dass eine solide und glaubwürdige Telepr?senz schneller realisierbar sein wird. Gegenw?rtig erleben wir, dass sich grundlegende Schlüsseltechnologien sehr rasch entwickeln. Ich denke da an künstliche Intelligenz, Echtzeit-Computerbild und maschinelles Lernen, realistische 3D-Grafik, hochaufl?sende 3D-Erfassung, digitale Menschen und Avatare, Lichtfeld-Displays und Mixed-Reality-Plattformen. Einen Vorgeschmack auf das, was bald kommen wird, liefert z.B. Microsofts Room2Room-Projekt sowie deren Holoportation Plattform oder die digitalen Avatare der Reality Labs von Facebook.

Pandemie macht Dringlichkeit sichtbar

Der Zeitpunkt für telepresence@work ist hier und jetzt. Die Pandemie hat bewirkt, dass Telekonferenz-Tools unwiderruflich zu einem Teil unseres beruflichen und privaten Lebens werden, und wir ben?tigen deshalb schnelle und brauchbare L?sungen. Dies ist der richtige Zeitpunkt für alle Start-ups und Investmentfonds, um sich Produkten der XR-Technologie für immersive Telepr?senz zuzuwenden. Ich kann alle angehenden Unternehmerinnen und Unternehmer nur ermutigen, diese Gelegenheit zu ergreifen und etwas zur Verbesserung dieser Technologie beizutragen – wir haben sie nie dringender gebraucht als jetzt.  

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