Klimawandel verstärkt Extreme auch in den Ozeanen
Extremereignisse im Meer sind kaum erforscht. Anhand von Modellen zeigt eine von der ETH Zürich geleitete Studie erstmals, dass marine Hitzewellen und Extreme mit hohem S?urewert und Sauerstoffmangel auch gemeinsam auftreten k?nnen – mit derzeit kaum absch?tzbaren Folgen für die Lebewesen im Meer.
Der menschgemachte Klimawandel wird immer st?rker spürbar, in der Schweiz zuletzt durch den von Starkregen und Hochwasser gepr?gten Sommer 2021. L?ngst ist bekannt, dass die globale Erderw?rmung nicht bloss für l?ngere und intensivere Hitzeperioden sorgt, sondern je nach Region auch immer heftiger werdende Dürren, Regenf?lle oder Stürme zur Folge hat. Solche Extremereignisse treten zudem ?fter kombiniert auf.
Wie sich Extremereignisse in den Weltmeeren entwickeln, ist hingegen kaum erforscht. Ab Anfang der 2000er Jahre verwiesen erste wissenschaftliche Studien auf die Bedeutung von Hitzewellen im Meer und deren Auswirkungen auf ?kosysteme. Ein Weckruf war eine marine Hitzewelle vor der Westküste Australiens im Jahre 2011, welche die dort vorkommenden, artenreichen Algenw?lder unwiederbringlich zerst?rte.
Das wohl prominenteste Beispiel einer Hitzewelle im Meer ist der sogenannte ?Blob?, eine riesige Warmwasser-Blase, die sich von 2013 bis 2015 im Nordost-Pazifik und entlang der US-Westküste von Alaska bis an den ?quator ausbreitete. Millionen von Seev?geln, Fischen und anderen Lebewesen starben daran.
Forschende der ETH Zürich, der Universit?t Bern und der Universit?t von Tasmanien haben dieses Extremereignis mit einem hochaufgel?sten Ozeanmodell aus einer neuen Perspektive untersucht. Das internationale Team unter der Leitung von Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik der ETH Zürich, kommt zum Schluss, dass nicht nur die hohen Wassertemperaturen für das Massensterben verantwortlich waren, sondern wahrscheinlich eine Kombination von Extremereignissen, die gleichzeitig auftraten.
?Für eine Fischart, die bereits am oberen Ende ihres optimalen Temperaturbereichs lebt, kann zus?tzlicher Sauerstoffmangel den Tod bedeuten.?Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik der ETH Zürich
Kombinierte Extreme sind besonders gef?hrlich
Mit ihrem Modell haben die Forschenden den zeitlichen Verlauf des Blobs nachgestellt und dabei erstmals die Temperatur, den S?urewert (pH-Wert) und den Sauerstoffgehalt des Meerwassers gemeinsam untersucht. Die Computersimulationen zeigen, dass sich auf dem H?hepunkt der Hitzewelle im Juli 2015 in der betroffenen Region im Nordost-Pazifik auch ein extremer S?urewert und ein Sauerstoffmangel grossfl?chig ausgebreitet hatte.
In einigen Gebieten, etwa vor den Küsten von Oregon, Washington und British Columbia, ist demnach nicht bloss eine Hitzewelle, sondern ein kombiniertes Extremereignis aufgetreten, so das Fazit der ETH-Forschenden. ?Wenn Meereslebewesen mit mehreren Stressfaktoren gleichzeitig konfrontiert werden, ist es für sie schwieriger, sich zu akklimatisieren?, erkl?rt Nicolas Gruber. ?Für eine Fischart, die bereits am oberen Ende ihres optimalen Temperaturbereichs lebt, kann zus?tzlicher Sauerstoffmangel den Tod bedeuten.?
In ihrer soeben im Fachmagazin Nature erschienen Studie rufen die Forschenden deshalb dazu auf, kombinierten Extremereignissen im Meer mehr Beachtung zu schenken. ?Um die Risiken solcher Ereignisse abzusch?tzen, muss die Verkettung verschiedener Umweltfaktoren dringend besser untersucht werden – und zwar nicht nur bezogen auf Ereignisse in einzelnen Regionen, sondern auf globaler Ebene?, so der ETH-Professor.
Erstmals globale Verteilung untersucht
Einen ersten Schritt in diese Richtung haben die Autorinnen und Autoren der vorliegenden Studie bereits gemacht. Zus?tzlich zum Blob haben sie anhand eines globalen Klimamodells untersucht, wo und wie oft Extremereignisse – aufgetrennt in Hitzewellen und Situationen mit hohem S?urewert und Sauerstoffmangel – vorkommen und wie stark sie sind.
Um den Einfluss des Klimawandels aufzuzeigen, simulierten die Forschenden die Extremereignisse für die Zeitspanne von 1861 bis 2020 und verglichen diese Situation mit der vorindustriellen Zeit. Das Ergebnis ist deutlich: Weltweit hat sich die j?hrliche Zahl der Hitzetage an der Meeresoberfl?che von rund vier auf 40 Tage verzehnfacht. Die Zahl der Tage mit Sauerstoffmangel in der Meerestiefe hat sich verfünffacht.
Bei Extremen mit hohem S?urewert ist die Situation noch gravierender. Hier hat sich im Vergleich mit der vorindustriellen Zeit schon fast eine permanente Extremsituation eingestellt. ?Das zeigt auf, wie weit der Klimawandel im Ozean schon fortgeschritten ist?, sagt Thomas Fr?licher, Professor an der Universit?t Bern und Mitautor der Studie.
Auf einer Weltkarte zeigen die Forschenden zudem, in welchen Meeresregionen die st?rksten Extremereignisse vorkommen – und zwar sowohl an der Meeresoberfl?che als auch in 200 Metern Tiefe. Die r?umliche Aufl?sung der Ereignisse innerhalb der Wassers?ule sei wichtig, weil die Ausweichm?glichkeiten betroffener Lebewesen dadurch weiter einschr?nkt sind, betonen die Studienautoren.
So sind Extremereignisse im Meer verbreitet
An der Meeresoberfl?che, so zeigen die Simulationen, treten die st?rksten Hitzewellen (rot) in den hohen Breiten und im Ostpazifik nahe dem ?quator auf. Die marinen Hitzewellen in den Tropen sind stark durch das El-Ni?o-Ph?nomen getrieben, das in unregelm?ssigen Abst?nden zu ausserordentlich warmen Bedingungen im Ostpazifik führt.
Die Ereignisse mit extrem hohem S?urewert (blau) verteilen sich ?hnlich, sind jedoch im Nordpazifik viel ausgepr?gter als im Nordatlantik. Das hat damit zu tun, dass das Wasser im Pazifik generell einen etwas tieferen S?urewert hat und dadurch empfindlicher auf Ver?nderungen reagiert.
In 200 Metern Meerestiefe konzentrieren sich die Extremereignisse vorwiegend auf die Tropen. Der Sauerstoffmangel (grün) im Tiefenwasser wird durch die erh?hten Wassertemperaturen an der Meeresoberfl?che verst?rkt, weil sich die Wasserschichten dadurch weniger gut durchmischen. Zudem zeigte sich auch in der Tiefe eine Tendenz für starke Extreme des S?urewertes (blau) im Nordpazifik.
?ber Artengemeinschaften im Meer ist wenig bekannt
Die ?kologischen Folgen der Extremereignisse k?nnen die Forschenden allerdings nicht im Detail absch?tzen. Klar ist, dass Extreme im Vergleich zum langsam fortschreitenden Klimawandel generell einen st?rkeren Einfluss auf Meeresbewohner haben. Denn das pl?tzliche Auftreten der Umweltver?nderungen verunm?glicht viele Formen der Anpassung.
Simulationen k?nnen den Zustand der Meeres-?kosysteme allerdings nur ansatzweise abbilden. Der Komplexit?t von biologischen und ?kologischen Prozessen werden sie noch nicht gerecht. ?Unsere Modelle unterscheiden beispielsweise ?usserst beschr?nkt zwischen verschiedenen Algen- und Zooplanktonarten?, sagt Meike Vogt, Wissenschaftlerin in der Gruppe von Gruber. Diese Differenzierung w?re aber wichtig, da sich verschiedene Arten in ihrer Widerstandsf?higkeit gegenüber Extremen stark unterscheiden.
?Von Schweizer W?ldern wissen wir, dass die Buche Trockenheit weniger gut vertr?gt als zum Beispiel die F?hre?, so der ETH-Professor Gruber. ?ber die ?kosysteme grosser Meeresregionen sei hingegen noch viel zu wenig bekannt. ?Uns fehlt ein breitfl?chiges Wissen über die Artenzusammensetzung in den verschiedenen Meeresgebieten. Nur wenn wir diese Grundlage haben, k?nnen wir den Einfluss des Klimawandels und der Extreme bestimmen?, sagt Vogt.
Eines jedoch ist klar: Schreitet der Klimawandel weiterhin so rasch voran, nehmen Extremereignisse – einzeln und in Kombination mit anderen – stark zu. Mit einer verbesserten Datengrundlage und intensiver Forschungsarbeit k?nnte man geeignetere Klimaschutzmassnahmen treffen.
??hnlich wie auf hoher See bereits internationale Schutzgebiete bestehen, k?nnte man von Extremereignissen betroffene Gebiete durch ein Fischereiverbot schonen?, so Gruber. Im Fall des Blobs wurde dies bereits gemacht. Ein Fischereiverbot alleine werde aber kaum ausreichen; weitere Massnahmen seien dringend n?tig, betont der ETH-Professor. ?Die Zeit dr?ngt!?
Literaturhinweis
Gruber N, Boyd P, Fr?licher T & Vogt M. Biogeochemical extremes and compound events, Nature December 15, 2021. externe Seite DOI: 10.1038/s41586-021-03981-7