Ein Schichtmaterial stoppt Vibrationen und Lärm
Materialforschende haben einen neuen Verbundstoff geschaffen, der zwei unvereinbare Eigenschaften auf sich vereint: Er ist steif und trotzdem stark d?mpfend.
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In Kürze
- Vibrationen schaden Maschinen und Geb?uden, L?rm ist st?rend und ungesund. Deshalb braucht es d?mpfende Materialien, die zugleich steif sind.
- ETH-Forschende haben basierend auf Simulationen eine neue Klasse von Verbundmaterialien entwickelt, die beide Eigenschaften auf sich vereinen.
- Diese Materialien bestehen aus Schichten eines steifen Werkstoffs und superdünnen Polymerschichten.
Ein Kompressor brummt, eine Klimaanlage scheppert, das Fahrgestell eines Eisenbahnwagons rattert und schüttelt die Fahrg?ste durch: Vibrationen sind nicht nur nervig, sie k?nnen auch sch?dlich sein. Sie zerst?ren auf die Dauer Material und Maschinen und verkürzen deren Lebensdauer. Zudem sch?digt der durch die Schwingungen erzeugte L?rm die Gesundheit.
Ingenieur:innen verbauen deshalb in vielen technischen Anwendungen d?mpfende Materialien wie Sch?ume, Gummis oder mechanische Elemente wie Federn oder Stossd?mpfer, um Vibrationen und L?rm zu unterdrücken. Das macht Maschinen oder Ger?te allerdings volumin?ser, schwerer und teurer. Darüber hinaus ist es nicht immer m?glich, mit nachtr?glich angebrachten D?mpfungselementen Vibrationen wirksam zu unterdrücken.
Weltweit besteht deshalb eine hohe Nachfrage nach Materialien, die steif und tragend sind, aber auch eine hohe D?mpfung erzielen. Einen solches Material zu entwickeln, ist nicht einfach, da sich die beiden Eigenschaften gegenseitig ausschliessen.
ETH-Materialforschende haben nun aber ein Material entwickelt, das das vermeintlich Unvereinbare auf sich vereint. Gelungen ist das Kunststück Ioanna Tsimouri in ihrer Doktorarbeit bei Andrei Gusev und Walter Caseri, beides Professoren am Departement Materialwissenschaft. Sie hat Werkstoffe geschaffen, die aus mehreren Lagen eines steifen Materials bestehen, die durch ultradünne gummiartige Polymerschichten miteinander verbunden sind.
Für ihre ersten Prototypen verwendete Tsimouri Glas- und Siliziumplatten von lediglich 0,2 bis 0,3 Millimeter Dicke. Die gummiartigen Polymerschichten zwischen den Platten messen sogar nur wenige hundert Nanometer. Tests haben aufgezeigt, dass diese neuen Verbundmaterialien tats?chlich die erhofften Eigenschaften aufweisen.
Die Forschenden haben ihre Erfindung im Frühsommer dieses Jahres zum Patent angemeldet und nun in der Fachzeitschrift externe Seite Composites Part B: Engineering ver?ffentlicht.
Theoretisch hergeleitet
Zuerst berechnete Tsimouri zusammen mit dem Materialphysiker Gusev mithilfe von Computermodellen, wie dick die verbindenden Polymerschichten sein müssen, damit das Verbundmaterial gleichzeitig sehr steif und stark d?mpfend ist.
Diese Berechnungen zeigten ihr, dass die gewünschten Materialeigenschaften nur dann erreicht werden, wenn die Schichtdicken in einem bestimmten Verh?ltnis zueinanderstehen. So müssen die d?mpfenden Polymerschichten weniger als ein Prozent des gesamten Materialvolumens ausmachen, die steifen Glas- oder Siliziumschichten dagegen mindestens 99 Prozent. ?Ist die Polymerschicht zu dünn, gibt es kaum D?mpfungseffekte. Ist sie zu dick, ist das Material nicht steif genug?, erkl?rt Tsimouri.
Im Labor umgesetzt
Im n?chsten Schritt überprüfte sie gemeinsam mit Caseri die Berechnungen experimentell und stellte im Labor mehrere Varianten des Verbundmaterials her.
Als Material für die steifen Schichten ihres Prototyps verwendete die Forscherin unter anderem Glas, wie es für Smartphone-Bildschirme genutzt wird. Das gummiartige Polymer besteht aus einer Mischung handelsüblicher Polymere auf der Basis von Polydimethylsiloxan (PDMS), die chemisch reaktive Stellen enthalten. Nach der Zugabe eines Katalysators verbinden sich diese Stellen und bilden ein Polymernetzwerk, das die steifen Platten wie eine Zweikomponentendichtung verbindet.
Schliesslich testeten die Materialforschenden in Zusammenarbeit mit Peter Hine von der Universit?t Leeds die Schichtmaterialien auf ihre mechanischen Eigenschaften, die frequenz- und temperaturabh?ngig sind. Zum Einsatz kam ein spezieller Beugungstest. Tsimouri prüfte ihre Produkte zudem mit einem einfachen, aber aussagekr?ftigen praktischen Test: Sie liess die Laminatplatten aus 25 Zentimetern H?he auf eine Tischplatte fallen und verglich die akustische und mechanische D?mpfung mit derjenigen einer gleich grossen Platte aus reinem Glas.
Dabei bewies das Laminat seine hervorragenden d?mpfenden Eigenschaften, aber auch seine Stabilit?t. Das Aufschlagen auf der Tischplatte war viel leiser. Zudem sprang es nicht auf. Reines Glas hingegen erzeugte beim Aufschlagen auf der Tischplatte einen lauten Knall, sprang auf und überschlug sich. ?Mit diesem Test konnte ich zeigen, dass das Laminat Schwingungen und L?rm hervorragend d?mpft?, sagt Tsimouri.
Hauchdünne Polymerschicht als Hürde
?Eine grosse Schwierigkeit war, eine Mischung von PDMS-Polymeren zu finden, die ein gummiartiges Polymer mit verbesserten D?mpfungseigenschaften in einem breiten Temperaturbereich ergibt. Auch die Polymerschicht in der gewünschten Dicke zu erzeugen, war schwierig?, erkl?rt sie weiter. Da die Polymere nach Zugabe des Katalysators sehr schnell reagieren, musste sie ein spezielles Verfahren entwickeln, um die L?sungen auf die Glas- respektive Siliziumpl?ttchen aufzutragen. Viel Zeit habe sie auch dafür gebraucht, die Dicke der Schichten zu prüfen. Dafür musste sie Querschnitte des Laminats herstellen und mit einem Elektronenmikroskop untersuchen. ?Das war enorm aufw?ndig?, erinnert sie sich.
Breite Anwendungen m?glich
Das Laminat k?nnte laut den Forschenden in vielen Anwendungen zum Zuge kommen, angefangen bei Fensterglas, Maschinengeh?usen oder in Autoteilen. Es k?nnte verwendet werden von der Luft- und Raumfahrt bis hin zur Sensorik, wo vibrationsfreie Materialien sehr gefragt sind. ?Der Weltmarkt für d?mpfende Materialien ist riesig?, betonen die Forschenden.
Zudem hat das Schichtmaterial einen weiteren Vorzug: Das bindende und d?mpfend wirkende Polymer h?lt eine grosse Spannbreite an Temperaturen aus, ohne dass sich seine d?mpfenden Eigenschaften ver?ndern. Erst unterhalb einer Temperatur von -125 Grad Celsius wird das Polymer glasig und verliert seine D?mpfungskapazit?t.
Nicht zuletzt w?re ein solches Laminat auch nachhaltig und ressourcenschonend. Wenn man Materialien mit ?eingebauter? D?mpfung verwendet, braucht man kein zus?tzliches D?mpfungsmaterial. Zudem k?nnen Glas und Silizium leicht recycelt werden. Beim Einschmelzen würden kleinere Mengen des Polymers zu Glas zerfallen und den Recyclingprozess nicht beeintr?chtigen.
Caseri h?lt die Technologie für gut skalierbar. ?Wenn ein Hersteller über entsprechende Maschinen verfügt, kann er das Laminat auch in mehrere Quadratmeter grossen Paneelen herstellen.?
Spark Award – diese Projekte sind im Final
Am 21. November 2024 verleiht die ETH Zürich am Industry Day zum 13. Mal den Spark Award für die beste Erfindung des Jahres. Die Kriterien dafür sind Originalit?t, Patentst?rke und Marktpotenzial. Zu den fünf Finalisten geh?ren neben dem hier vorgestellten d?mpfenden Schichtmaterial vier weitere Projekte.
- Projekt 1: Bessere Krebsdiagnose dank digitalen 3D-Bildern
- Projekt 2: Seltene Erden schürfen - aus Elektroschrott
- Projekt 3: Wie Forschende Bakterien zu Zellulose-Minifabriken machen
- Projekt 4: Spion im Bauch
Hier finden Sie die Spark Award Siegerprojekte der Jahre 2012 – 2023.
Spark Award Zeremonie, Industry Day @ Open-I, 21. November 2024, 12:15, Kongresshaus Zürich.
Literaturhinweis
Tsimouri IC, Caseri W, Hine PJ, Gusev AA. Lightweight silicon and glass composites with submicron viscoelastic interlayers and unconventional combinations of stiffness and damping. Composites Part B 284 (2024) 111717. Doi: externe Seite 10.1016/j.compositesb.2024.111717