Was Laubblätter im Herbst altern lässt
Forschende der ETH Zürich weisen bei europ?ischen Laubb?umen einen selbstregulierenden Mechanismus nach, der ihre Wachstumsphase begrenzt: B?ume, die im Frühling und Sommer mehr Photosynthese betreiben, werfen ihre Bl?tter im Herbst früher ab.
An seinem Lebensende leuchtet das Laub in pr?chtigen gelb-roten Farben: Es ist Herbst. Laubb?ume in den gem?ssigten Zonen bereiten sich auf den nahenden Winter vor. Sie stellen das Wachstum ein und entziehen dem Laub die N?hrstoffe. Die Bl?tter fallen allm?hlich ab und sterben. Dieser Alterungsprozess der Bl?tter wird Seneszenz genannt. Er markiert im ph?nologischen Zyklus der B?ume das Ende der Vegetationsperiode, in der sie CO2 aufnehmen und Photosynthese betreiben.
Mit der Klimaerw?rmung hat sich die Vegetationsperiode in den vergangenen Jahrzehnten verl?ngert: Europ?ische B?ume treiben im Frühling rund zwei Wochen früher aus als noch vor hundert Jahren. Im Herbst fallen die Bl?tter heute gut sechs Tage sp?ter. Es wird allgemein erwartet, dass sich die Seneszenz in einem künftig w?rmeren Klima weiter versp?tet. B?ume k?nnten so mehr CO2 aus der Atmosph?re aufnehmen.
Forschende der ETH Zürich gelangen nun zu einem gegenteiligen Befund: In einer Studie im Fachmagazin externe Seite Science weisen sie bei Laubb?umen einen selbstregulierenden Mechanismus nach, der die Vegetationsperiode begrenzt: Eine erh?hte Photosynthese im Frühjahr und Sommer l?sst die Bl?tter im Herbst früher altern. Damit dürfte sich der herbstliche Blattfall in Zukunft wider Erwarten verfrühen – und nicht weiter versp?ten.
Limitierte Senken als Seneszenztreiber
?Pr?zise Prognosen über die Wachstumssaison von B?umen waren bislang kaum m?glich, weil man die Ursachen der Blattseneszenz nicht genügend verstand?, sagt Constantin Zohner, Studienleiter und Senior Scientist am Crowther Lab der ETH Zürich.
Bislang ging die Wissenschaft generell davon aus, dass haupts?chlich die abnehmende Temperatur und Tagesl?nge im Herbst den Zeitpunkt der Blattseneszenz bestimmen. Zwar gab es bereits verschiedene Hinweise, dass der Blattaustrieb im Frühling mit dem Blattfall im Herbst verbunden sein muss. ?Weil die Mechanismen aber unklar waren, berücksichtigen ph?nologische Modelle solche Effekte bestenfalls teilweise?, sagt der Biologe.
Zohner vermutete, dass das Bindeglied zwischen Frühling und Herbst mit der saisonalen Photosynthese zu tun haben k?nnte – genauer: mit dem Ph?nomen der limitierten Kohlenstoffsenke. Dabei begrenzen unter anderem knappe Bodenn?hrstoffe wie etwa Stickstoff die CO2-Menge, die eine Pflanze w?hrend der Saison aufnehmen kann. Ist die maximale CO2-Menge erreicht, setzt die Blattalterung entsprechend früher ein.
Diese Rolle der Photosynthese bei der Steuerung der Blattseneszenz ist beispielsweise bei Getreide seit langem bekannt, wurde aber nie an B?umen getestet. So machten sich die ETH-Forschenden daran, die Treiber des herbstlichen Blattfalls mit einem kombinierten Ansatz von Feldbeobachtungen, Laborversuchen und Modellierung zu ergründen.
Deutlicher Effekt der Photosynthese
Die Basis der Studie bildeten Langzeitbeobachtungen von sechs europ?ischen Laubbaumarten w?hrend der letzten sechs Jahrzehnte. Anhand der Daten testete Zohners Team den relativen Einfluss verschiedener Faktoren auf den Zeitpunkt der Herbstseneszenz, darunter den Blattaustrieb im Frühling, die saisonale Photosynthese, CO2-Konzentration, Temperatur und Niederschlag.
Erg?nzend führten die Forschenden eine Reihe von Experimenten mit jungen B?umen in Klimakammern und im Freien durch. So konnten sie Temperatur, Tageslicht und CO2-Gehalt variieren und die jeweiligen Effekte auf Photosynthese und Blattseneszenz untersuchen.
Tats?chlich offenbarten die Baumbeobachtungen einen deutlichen Einfluss der saisonalen Photosynthese: Bei allen untersuchten Arten trat in den Jahren mit erh?hter Photosynthese im Frühjahr und Sommer auch die Seneszenz im Herbst früher ein, wobei eine zehn Prozent h?here Aktivit?t die Blattalterung um acht Tage vorzog. Die Experimente stützten den Befund aus den Beobachtungen.
Mechanik des Herbstes modelliert
?Unsere Analysen legen nahe, dass die saisonale Photosynthese, die Herbsttemperatur und die Tagesl?nge prim?re Treiber der Seneszenz sind?, sagt Erstautorin Deborah Zani. Anders die restlichen Faktoren: ?CO2-Gehalt, Sommertemperaturen, Lichtst?rke und Niederschlag beeinflussen zwar die Photosynthese ganz direkt, wirken sich aber nur indirekt auf die Herbstseneszenz aus?, erkl?rt sie das Zusammenspiel der Kr?fte.
W?rmere Herbste verz?gern die Seneszenz tendenziell. Doch steigende CO2-Konzentration, w?rmere Sommerperioden und ein früherer Blattaustrieb erh?hen zusehends die Photosynthese im Frühling und Sommer. Dadurch füllen sich die limitierten Kohlenstoffspeicher – sind sie vorzeitig ges?ttigt, verfrüht das die Seneszenz, was der Verz?gerungstendenz aufgrund h?herer Herbsttemperaturen entgegen wirkt.
Zani und Zohner entwickelten ein neues Modell der Herbstph?nologie, das alle Faktoren nach ihrem relativen Gewicht berücksichtigt. Dieses vermag den Zeitpunkt der Seneszenz der letzten sechs Jahrzehnte um bis zu 42 Prozent pr?ziser zu datieren als frühere Modelle.
Zudem kehrt es deren Prognosen um: Bis anhin erwartete man, dass die Seneszenz bis Ende Jahrhundert zwei bis drei Wochen sp?ter auftritt. ?Unser neues Modell legt das Gegenteil nahe: Wenn die Photosynthese weiter steigt, werden die Bl?tter im Lauf des Jahrhunderts um drei bis sechs Tage früher als heute altern – und nicht sp?ter?, erkl?rt Zani. Das bedeutet, dass sich die Wachstumssaison bis Ende des Jahrhunderts nur um 8 bis 12 Tage verl?ngern wird. ?Das ist rund zwei bis drei Mal weniger als bisher gedacht?, erg?nzt Zani. Sie war im Rahmen ihrer Masterarbeit am Crowhter Lab massgeblich an Datenanalyse und Modellierung beteiligt.
Saisondauer beeinflusst Kohlenstoffbilanz
Für ihre Forschung verwendeten die Wissenschaftler Daten des Pan European Phenology Project. Insgesamt werteten sie 434’000 ph?nologische Beobachtungen an 3800 Standorten in Mitteleuropa im Zeitraum von 1948 bis 2015 aus. Untersucht wurden sechs repr?sentative Arten: Gew?hnliche Rosskastanie, H?nge-Birke, Rotbuche, Europ?ische L?rche, Stieleiche und Vogelbeerbaum.
Die Autoren verstehen ihre Studie als weiteren Hinweis darauf, dass W?lder der gem?ssigten Zone begrenzt CO2 aufnehmen k?nnten: ?Die CO2-Aufnahme wird mit steigenden Temperaturen wahrscheinlich weniger stark ansteigen, als ?ltere Modelle voraussagten?, sagt Zohner. Die Forschenden wollen nun besser verstehen, wie verbreitet limitierte Kohlenstoffsenken in den W?ldern der Erde sind.
Literaturhinweis
Zani D, Crowther TW, Mo L, Renner S, Zohner CM: Increased growing-season productivity drives earlier autumn leaf senescence in temperate trees. Science (2020), 26. November 2020, doi: externe Seite 10.1126/science.abd8911